Sexualität, Langeweile und Partnerschaften
Leonor de Oliveira, Pedro Rosa, Joana Carvalho und Pedro Nobre haben in einer Studie im Journal of Sex Research (2021) das Phänomen der sexuellen Langeweile untersucht und dessen Zusammenhang mit weiteren Aspekten der Sexualität und Partnerschaft analysiert.
Dabei verglichen sie Männer und Frauen getrennt voneinander und teilten sie mithilfe sogenannter Clusteranalysen in verschiedene Gruppen mit ähnlichen sexuellen Erlebensmustern ein.
Die Befunde – die ich gleich darlege – machen uns erneut deutlich, wie divers und variantenreich unser sexuelles Erleben in Beziehungen ist. Sie verweisen auch auf einige Probleme, die auftreten können, nämlich, wenn sich Partner:innen sexuell langweilen. Ebenso deutlich wird freilich, dass dies nicht der Fall zu sein braucht.
Vor allem lassen sich aus den Befunden einige Hinweise entnehmen, was wir womöglich machen können, um sexueller Langeweile entgegenzuwirken. Während dies vorwiegend eine Frage der Beziehungsgestaltung und der Beziehungsarbeit ist, können wir manches sogar bereits bei unserer Partnersuche berücksichtigen.
Am Ende der Darstellung der Studienbefunde gehe ich auch auf diese Aspekte ein.
Für diejenigen, die an ihrer sexuellen Zufriedenheit arbeiten möchten oder sich fragen, was sie in einer Beziehung für eine bessere sexuelle Kompatibilität tun können, verweise ich auf meine vorherigen Videos zu dieser Thematik – sie sind sehr lang, aber anwendungsrelevant:
- So wirst Du sexuell zufrieden
- Tipps zur sexuellen Kompatibilität
- Sexualpraktiken und sexuelle Anziehung
Teilnehmende und Untersuchungsdesign
An der Studie nahmen 1021 Personen im Alter von 18 bis 75 Jahren teil. Davon waren 739 Frauen, 282 Männer, 7 Personen identifizierten sich als transgender und 2 als nicht-binär. Rund 51 % der Befragten lebten in einer festen Partnerschaft (verheiratet oder zusammenlebend), die übrigen waren alleinstehend oder in anderen Beziehungsformen.
Allen Teilnehmenden wurden standardisierte Fragebögen vorgelegt, die neben der erlebten sexuellen Langeweile auch folgende Dimensionen erfassten:
- Sexuelle Motivation im Sinne konkreter Handlungen oder Handlungsabsichten, um sich sexuell mit Partner:innen, anderen Personen oder sich selbst zu beschäftigen. Zu diesem motivationalen Aspekt gehört auch der antreibende Moment der sexuellen Erregung.
- Sexuelles Vergnügen im Sinne der subjektiven Freude an sexuellen Aktivitäten. Dies ist etwas anderes als die Motivation: Ich kann sexuelle Aktivitäten als angenehm, lustvoll, entspannend erleben, ohne eine hohe Motivation zu haben, sie umzusetzen, und auch ohne eine entsprechend ausgeprägte Erregungskomponente.
- Sexuelle Zufriedenheit in der Beziehung und auch auf die eigene Person in anderen Kontexten bezogen.
- Suche nach aufregender Sexualität als Bedürfnis nach sexueller Neuheit und Abwechslung.
Sexuelle Langeweile – was ist das eigentlich?
Sexuelle Langeweile bezeichnet das subjektive Erleben von sexueller Monotonie und den Eindruck, dass keine ausreichende Abwechslung vorliegt. Dies kann sich auf die Merkmale von Partner:innen beziehen, aber auch auf die sexuellen Aktivitäten und Kontexte. Sie tritt häufig in längerfristigen, monogamen Beziehungen auf, kann sich aber auch unabhängig von Beziehungsdauer oder -form entwickeln.
Singles, die keinen Sex haben, können beispielsweise ebenso über Langeweile klagen.
Ergebnisse: Drei Cluster sexuellen Erlebens bei Männern
Cluster 1 (39,7 %): Geringe sexuelle Langeweile bei geringer Motivation und hohem Genuss
- Diese Männer zeigten durchweg niedrige Werte bei sexueller Motivation – sowohl auf die Partnerperson, auf außenstehende attraktive Personen und auf Selbstbefriedigung bezogen. Auch ihre sexuelle Erregung war eher gering ausgeprägt. Trotzdem beschrieben sie ihr sexuelles Erleben als angenehm und zufriedenstellend. Die sexuelle Ausrichtung dieser Männer war primär auf ihre Partnerperson gerichtet, das sexuelle Begehren jedoch wenig aktiv. Das Cluster zeigt, dass manche Menschen in Beziehungen zwar wenig Erregung und Motivation verspüren, aber den seltenen Sex sehr genießen können, ohne sich zu langweilen. Womöglich schützt sogar die geringe Motivation davor, dass durch hochfrequenten Sex mit der Partner:in eine zur Langeweile führende Sättigung eintritt.
Cluster 2 (22,3 %): Hohe sexuelle Langeweile bei geringer Motivation und geringem Genuss
- Die Männer in diesem Cluster waren in allen Aspekten ihrer sexuellen Motivation im unteren Spektrum angesiedelt. Ihr sexuelles Interesse war insgesamt niedrig – sowohl gegenüber der Partnerperson als auch gegenüber attraktiven anderen Personen oder Selbstbefriedigung. Gleichzeitig berichteten sie über stark ausgeprägte sexuelle Langeweile sowie eine geringe erlebte Freude und Zufriedenheit mit ihrer Sexualität. Dieses Cluster ist keineswegs als asexuell einzuordnen, denn die Betreffenden schildern eine dezidierte sexuelle Langeweile, während Asexuelle sich nicht sexuell langweilen. Sie erleben die Sexualität mit ihren Partner:innen nicht als freudvoll und zeigen auch keine Motivation und wenig antreibende Erregung, um die Sexualität zu intensivieren. Vermutlich ist es ein komplexes Muster aus Gewöhnungseffekten, geringer sexueller Zufriedenheit und auch dadurch im Sinne einer negativen Rückkopplungsschleife weiterhin abnehmender Motivation, etwas zu verändern. In dem Sinne zeigen sich in diesem Cluster die sexuell Frustrierten und Resignierten.
Cluster 3 (37,9 %): Hohe sexuelle Langeweile bei hoher Motivation und ausgeprägtem Genuss
- Diese Gruppe zeigte ein ausgeprägt aktives sexuelles Interesse – sowohl auf Partner:innen bezogen als auch gegenüber anderen Personen. Auch das Interesse an Selbstbefriedigung war stark ausgeprägt. Zudem wurden sexuelle Handlungen auch grundsätzlich als lustvoll und zufriedenstellend erlebt. Allerdings schildern die Betreffenden dennoch eine hohe sexuelle Langeweile. Zwar können sie Sexualität lustvoll erleben und sind auch zu sexuellen Handlungen motiviert, aber in der Realität erleben sie ihr Sexualleben insgesamt als monoton und wenig abwechslungsreich. Das, was ihnen an Sexualität derzeit möglich ist, wird also nicht als ausreichend erfüllend und stimulierend erlebt, auch wenn die jeweiligen einzelnen sexuellen Aktivitäten, die stattfinden, dennoch freudvoll sind.
Ergebnisse: Drei Cluster sexuellen Erlebens bei Frauen
Cluster 1 (41,4 %): Geringe sexuelle Langeweile bei geringer Motivation und hohem Genuss
- Dieses Cluster entspricht exakt dem Cluster 1 der Männer: Diese Frauen zeigten wie die entsprechenden Männer niedrige Werte bei sexueller Motivation – sowohl auf die Partnerperson bezogen als auch auf außenstehende attraktive Personen und auf Selbstbefriedigung. Auch ihre sexuelle Erregung war eher gering ausgeprägt. Trotzdem beschrieben sie ihr sexuelles Erleben als angenehm und zufriedenstellend. Die sexuelle Ausrichtung dieser Frauen war primär auf ihre Partnerperson gerichtet, das sexuelle Begehren jedoch wenig aktiv.
Cluster 2 (29,0 %): Hohe sexuelle Langeweile bei geringer Motivation und geringem Genuss
- Erneut findet sich dieses Cluster ebenso bei den Männern, mit einem Unterschied: Die entsprechenden Frauen langweilten sich stark, ie Lust auf die eigene Partnerperson war dabei aber besonders stark reduziert, während das Interesse an attraktiven anderen Personen vergleichsweise höher lag. Selbstbefriedigung spielte ebenfalls eine moderate Rolle. Das sexuelle Erleben wurde insgesamt als unbefriedigend und nicht freudvoll erlebt. Generalisierte Frustration und Resignation gehen mit einer stärkeren Ausrichtung der Sexualität (wohl als Kompensation) auf externe Personen einher. Es zeigt sich hier also auch ein besonderes Desinteresse an dem eigenen Partner.
Cluster 3 (29,5 %): Moderate sexuelle Langeweile bei hoher Motivation und ausgeprägtem Genuss
- Cluster 3 ist ähnlich wie bei den Männern, aber etwas entschärft: Diese Frauen zeigten ein stark ausgeprägtes sexuelles Interesse, das sich sowohl auf die Partnerperson als auch auf andere attraktive Personen richtete. Auch das Bedürfnis nach Selbstbefriedigung und sexueller Neuheit war hoch. Ihr sexuelles Erleben war gleichzeitig von mittlerer sexueller Langeweile geprägt, aber dennoch im direkten Erleben lustvoll und zufriedenstellend. Die sexuelle Ausrichtung war dabei grundsätzlich vielseitig – sowohl innerhalb als auch außerhalb einer Beziehung. Dieses Cluster ist eine etwas abgeschwächte Form des dritten Clusters bei den Männern – in dem Sinne, dass Langeweile vorhanden ist, aber nicht so stark. Das, was den betreffenden Frauen an Sexualität derzeit möglich ist, wird also nicht als voll ausreichend erfüllend und stimulierend erlebt, auch wenn die jeweiligen einzelnen sexuellen Aktivitäten, die stattfinden, dennoch freudvoll sind. Der Bezug auf eine andere externe Person mag hier die sexuelle Langeweile reduzieren, weshalb sie nur moderat ist.
Vergleich zwischen Männern und Frauen
Zwischen den Geschlechtern zeigten sich vorwiegend Parallelen und nur begrenzte Unterschiede. Während Männer mit hoher sexueller Langeweile meist eine generelle sexuelle Motivationslosigkeit aufwiesen, war bei Frauen in vergleichbaren Clustern die sexuelle Motivation situationsspezifisch reduziert – insbesondere gegenüber der Partnerperson. Außerdem waren Frauen insgesamt seltener und in geringerem Ausmaß von sexueller Langeweile betroffen.
Weitere Merkmale der Cluster
Neben der sexuellen Fokussierung unterschieden sich die Cluster auch in weiteren Eigenschaften:
- Personen mit geringer sexueller Motivation und geringer Langeweile waren häufiger in festen Beziehungen. Offenbar kann ein stabiles Muster in Beziehungen entstehen, wo Sex zwar abnimmt, aber dies dennoch nicht als langweilig erlebt wird.
- Auffällig ist das Fehlen einer Gruppe mit hoher sexueller Motivation, geringer Langeweile und hohem sexuellem Genuss. Diese Merkmalskombination, von der wir ein Optimum an sexueller Erfüllung erwarten würden, scheint so selten aufzutreten, dass sie sich statistisch nicht als eigenständige Gruppe sichtbar machen ließ!
Resümee und Bedeutung
Machen wir uns den de facto Status bewusst, dass die allermeisten nicht die optimale Kombination aus hoher sexueller Motivation, geringer sexueller Langeweile und hohem sexuellem Genuss erreichen.
Woran liegt dies?
- Meine Hypothese ist, dass auch bei hoher sexueller Motivation und sexuellem Genuss in einer Beziehung die Langeweile typischerweise ansteigt, weil sich monotone Muster etablieren und wir wohl auch einfach mit der Zeit die Person der Partner:in nicht mehr als so sexuell anziehend erleben. Sexualität als triebhaftes Geschehen ist eben auf Neuigkeit ausgerichtet.
Gleichzeitig gibt uns dies einen wichtigen Hinweis, wie wir womöglich als Einzelne doch gegen den Strom schwimmen und dieses Optimum erreichen können:
- Etablierung von neuen und spannenden Konstellationen. Dies kann ein Wechsel der Praktiken sein, der Orte, aber auch die Etablierung offener Beziehungen, von Swinger-Konstellationen oder polyamoren Begegnungen. Tatsächlich gibt es Hinweise, dass gerade durch Swinger-Konstellationen (gemeinsame Sexualität mit Dritten) die sexuelle Spannung erhalten werden kann.
Trotzdem wird dies für viele keine Lösung sein, denn die Orientierung an monogamen Beziehungsmodellen ist mehrheitlich, und es werden keineswegs die in anderen Beziehungsformen glücklich, die gegen diese eine Aversion verspüren.
Aber auch monogam sind viele Variationen möglich, und so mag manchen die Quadratur des Kreises gelingen, sodass sie selbst dauerhaft zu hoher sexueller Motivation, geringer Langeweile und hohem sexuellem Genuss gelangen.
Aber dieser Weg ist keineswegs zwingend, denn es gibt einen weiteren Lösungsweg zu hoher Zufriedenheit:
- Cluster 1 zeigt, dass geringe sexuelle Langeweile (also kein sexuelles Monotonieerleben) gerade auch in Beziehungen mit geringer sexueller Motivation (wenig Sexualität), aber hohem sexuellem Genuss einhergehen kann. Wir können also in Beziehungen mit wenig Sexualität und auch geringer antreibender Erregung eine in gewisser Weise ruhige Form der Sexualität aufbauen und aufrechterhalten, die als befriedigend erlebt wird.
Wann aber sollten wir etwas ändern?
Verspürte sexuelle Langeweile sollten wir zum entscheidenden Anreiz nehmen, um etwas zu verändern. Denn wenn ich mich sexuell langweile, dann schöpfe ich mein sexuelles Potenzial und mein sexuelles Sehnen nicht aus. Womöglich habe ich Fantasien, die immer nur Fantasien bleiben, vielleicht interessieren mich Partner:innen nicht mehr sexuell, womöglich verläuft die Sexualität einfach zu monoton.
Viele bleiben einfach sexuell frustriert, doch dies kann sich letztlich negativ auf ihre Beziehungszufriedenheit auswirken. Selbst in Beziehungen sind wir erstaunlich oft gehemmt. Aber ohne ein gemeinsames Gespräch, ohne die Erläuterung der Langeweile und ohne die gemeinsame Suche nach Lösungen – neues Beziehungsmodell, Einbezug von erotischem Material, Veränderung der Praktiken, Sex an neuen Orten … – werden sich Verbesserungen kaum ergeben.
Es lohnt also, miteinander ins Gespräch zu kommen und die gemeinsame Sexualität aktiv zu gestalten.
Insgesamt finde ich die Befunde der Studie ermutigend:
- Schließlich hat die große Mehrheit der Männer und Frauen einen Weg gefunden, sexuelle Langeweile zu vermeiden.
Aber bei 37,9 % der Männer und 29,5 % der Frauen war dies nicht der Fall. Und weil Langeweile keineswegs von einem Paar immer gleich erlebt wird, war es wohl die Mehrheit der Paare, bei denen wenigstens eine Person sexuelle Langeweile schilderte. Für viele Paare ist also Handlungsbedarf fraglos vorhanden.
Ich vermute, bestimmt 80 % dieses Handlungsbedarfs sind Beziehungsarbeit, aber teilweise wird auch die Partnerwahl eine Rolle spielen.
Denn die Beziehungsarbeit stößt bei der Sexualität an Grenzen, wenn Appetenzen der einen Person auf Aversionen der anderen stoßen.
Gleichzeitig dürfte bei der Partnerfindung eine geringe Passung der Sexualität eher die Regel als die Ausnahme sein, da wir kaum vertieft über unser sexuelles Begehren sprechen.
So merken wir Inkompatibilitäten erst dann, wenn wir bereits zusammen sind:
- Bekannt ist das Phänomen in heterosexuellen Beziehungen, dass wir uns eines Tages im Verlauf einer Partnerschaft plötzlich damit konfrontiert sehen, dass Partner:innen sich außerhalb der Beziehung gleichgeschlechtliche Kontakte suchen.
- Regelmäßig verborgen bleiben auch BDSM-Neigungen, was bis zu Schockerlebnissen führen kann, wenn diese doch offensichtlich werden.
- Die wenigsten sprechen zudem über mögliche polypartnersexuelle Orientierungen. Implizit ist alles monogam, bis wir durch Fremdgehen aufwachen.
Bei Gleichklang versuchen wir mithilfe dezidierter Abfragen und eines psychologisch sensitiven Matchings den bei uns entstehenden Beziehungen durch eine gute Startkompatibilität auch im Bereich der Sexualität möglichst optimale Entwicklungsmöglichkeiten zu geben.
Wobei der Start nur ein erster Ausgangspunkt ist und alles andere sodann an dem liegt, was Partner:innen aus ihrem Sexualleben machen.
Wie erleben Sie selbst dies mit der Sexualität und Beziehungen? Bitte teilen Sie Ihre Erfahrungen mit den Leser:innen unten in den Kommentaren.
Gerne begleiten wir Sie auf dem Weg zu einer erfüllenden Beziehung:
▶ Zur Beziehungssuche bei Gleichklang
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Informationen zum Coaching:
Einzeltermine für ein Coaching können Sie jederzeit über meine Website vereinbaren. Wie überall gilt auch für das Coaching unser Grundsatz, dass bei Gleichklang niemand an finanziellen Engpässen scheitern soll. Das Coaching-Honorar kann daher ohne Probleme auch in niedrigen Monatsraten beglichen werden.











Ich hoffe, dass dich die Situation in deiner Heimat nicht zu sehr beunruhigt und das schnell wieder Ruhe einkehrt.
“Gleichzeitig dürfte bei der Partnerfindung eine geringe Passung der Sexualität eher die Regel als die Ausnahme sein, da wir kaum vertieft über unser sexuelles Begehren sprechen.” Kann man in dieser Beziehung schon Rückschlüsse aus den Angaben bei den Gleichklang-Profilen ziehen? z.B.
“Ich bin an einer Partnerschaft ohne Sexualität interessiert” oder “Die Geschwindigkeit des Beginns von Sexualität hat für mich in einer Beziehung folgende Bedeutung”. Bedeutet dann “Auch” bei der ersten Frage und “Langsam” bei der zweiten Frage ein geringes sexuelles Interesse?
Glücklicherweise wurde relativ schnell ein Waffenstillstand vereinbart. Eine größere Eskalation ist daher derzeit nicht zu erwarten. Dennoch sind etwa 30 Tote und ein Vielfaches an Verletzten bereits ein völlig unnötiger und viel zu hoher Preis.
Zur inhaltlichen Frage: Die Antwortoption „Auch“ bei der Aussage „Ich bin an einer Partnerschaft ohne Sexualität interessiert“ bedeutet nicht automatisch ein geringes sexuelles Interesse. Ebenso weist „Langsam“ bei der Frage zur Bedeutung des sexuellen Beginns in einer Beziehung nicht zwingend auf eine geringe Sexualität hin. Zwar existieren statistische Zusammenhänge, doch sind diese keineswegs eindeutig interpretierbar.
So kann „Auch“ bedeuten, dass eine Person sich zusätzlich zur Sexualität auch eine partnerschaftliche Ebene ohne Sexualität vorstellen kann – zum Beispiel im Rahmen einer offenen Beziehung. „Langsam“ kann bedeuten, dass Sexualität bewusst in einem späteren Stadium einer sich entwickelnden Beziehung ihren Platz finden soll, etwa aufgrund biografischer Erfahrungen oder emotionaler Einstellungen.
Daher können aus diesen Angaben allenfalls vorsichtige Hinweise, aber keine klaren Rückschlüsse auf sexuelles Interesse oder Passung gezogen werden. Zentrale Voraussetzung bleibt die offene und vertiefte Kommunikation.
Interessante Erkenntnisse. Interessant finde ich auch dieses Cluster 1 und vergleiche es mit Humor: Humor kann für mich wichtig sein und mich mehr ausmachen als die Mehrheit. Und trotzdem muss ich Humor nicht jeden Tag haben.
Interessant u. a. auch dieser Absatz:
“Gleichzeitig dürfte bei der Partnerfindung eine geringe Passung der Sexualität eher die Regel als die Ausnahme sein, da wir kaum vertieft über unser sexuelles Begehren sprechen. So merken wir Inkompatibilitäten erst dann, wenn wir bereits zusammen sind.”
Ein sehr treffender und klug gewählter Vergleich – genau das macht Cluster 1 so anschaulich verständlich. Wie beim Humor kann auch Sexualität für eine Person eine hohe individuelle Bedeutung haben, ohne dass sie in jedem Moment präsent oder ausgelebt werden muss. Das heißt aber nicht, dass sie beliebig ersetzbar wäre oder keine Rolle spielt.
Besonders wichtig erscheint mir auch Ihre Hervorhebung des Absatzes zur mangelnden Passung: Tatsächlich entstehen viele Inkompatibilitäten nicht aufgrund objektiver Gegensätze, sondern weil die Prozesse des gegenseitigen Kennenlernens oft zu oberflächlich bleiben. Es fehlt an Authentizität, an offener Kommunikation und an echter Tiefe. Dadurch werden potenziell kompatible Menschen übersehen oder verlieren sich wieder – während gleichzeitig unerkannte Unterschiede erst spät zum Problem werden.
Genau hier liegt eine zentrale Herausforderung der heutigen Partnerfindung.
Ich kenne es gut, dass es beim Kennenlernen offene Kommunikation und Tiefe nicht zustande kam und es nicht authentisch zuging. Es geht von einer oder beiden Seiten zu zaghaft zu. Man bricht schnell ab, z. B. nach einem oder zwei Begegnungen, weil nichts Relevantes passiert. Und/Oder weil man nicht erwartet, dass sich Relevantes später auftun wird. Oder/Und man ein schnelles Ergebnis erwartet, dass nicht zustande kommt.
Kann man sich klar und mit (noch mal) Relevantem darstellen, ist aber auch offen für Veränderung/Erweiterung/Integration, wäre dies eine gute Basis. Ist man noch mehr in der Entwicklung, ist es etwas anders als wenn ich schon mit mehr Erfahrung und mit mehr Ergebnissen mehr weiß. Ich denke, mit Intuition und Mut geht es auch dann gut – wahrscheinlich z. B. auch wenn man sexuell unsicher ist oder z. B. geworden ist.
Es ist tatsächlich so, dass Treffen eher oberflächlich verlaufen können und eine Kommunikation nicht in der Tiefe stattfindet. Es bleibt unverbindlich. Manchmal liegt es daran, dass beide eine Resonanz spüren, manchmal liegt es am Kommunikationsstil und weil niemand Themen aufgreift. Der beste Weg ist, es offen anzusprechen und zu schauen, ob gemeinsam noch mehr möglich ist.
Sie vergessen bei diesen Studien immer wieder die Rolle der Kirche. Haben wir in unserer Kindheit / Jugend gelernt, das Sexuallität “bäh” ist, werden wir selten zu einer befriedigenden Sexuallität kommen….außer, wir können uns von dieser (falschen) Moralvorstellung befreien.
Ich habe schon 2 Männer kennengelernt, die eine große Energie in Sachen Sexualität haben, diese aber zeitlebens unterdrückt haben, weil sie streng katholisch erzogen worden sind.
Sie sprechen einen zentralen Punkt an, der tatsächlich in vielen Diskussionen zu Sexualität zu wenig berücksichtigt wird: die negative Wirkung religiöser Erziehung auf das sexuelle Erleben und Verhalten. Es steht außer Frage, dass insbesondere restriktive, moralistisch geprägte Vorstellungen – wie sie etwa im katholischen Kontext häufig vermittelt wurden – in zahlreichen Fällen zu tiefgreifender sexueller Verunsicherung, Scham und anhaltender Unterdrückung sexueller Bedürfnisse führen können.
Empirisch zeigt sich dies unter anderem darin, dass Männer aus stark religiös-fundamentalistischen Milieus überproportional häufig ein Doppelleben führen – zum Beispiel durch geheime Aktivitäten auf Seitensprungplattformen oder durch Kontakte zu männlichen Escorts. In solchen Fällen werden grundlegende Bedürfnisse nicht offen und selbstbestimmt gelebt, sondern heimlich und oft mit Schuldgefühlen ausagiert.
Die langfristige Unterdrückung natürlicher sexueller Erlebnisbedürfnisse kann die psychosexuelle Entwicklung ernsthaft beeinträchtigen. Umso wichtiger ist es, sich dieser Einflüsse bewusst zu werden, sie kritisch zu reflektieren und sich von übernommenen sexualfeindlichen Moralvorstellungen zu lösen. Ihre Beobachtung ist daher absolut berechtigt und verweist auf ein gesamtgesellschaftlich relevantes Problemfeld.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man meist gut über alles Sexuelle reden kann, solange keine Liebe im Spiel ist Danach wird es leider schwieriger. Alles was man in den ersten “vier Wochen” nicht wirklich geklärt hatbleibt irgendwie offen.
Klar spricht man weiter über vieles, aber es geht auch darum, den anderen nicht zu verletzen oder zu verlieren.
Auf diese Weise ist mir meine zweite Ehe, die in so vielen sehr gut war, irgendwann um die Ohren geflogen, da mein Partner dauerhaft nicht ohne bestimmte Dinge auskam.
Da mir aber Sexualität schon immer sehr wichtig war konnte kein gemeinsamer Nenner gefunden werden
Ich denke, Sie haben recht, dass es hilfreich sein kann, über Sexualität zu sprechen, bevor eine tiefere Liebesbindung entstanden ist. Ist die Liebe erst einmal da und wurde das Thema Sexualität zuvor nicht berührt, bleibt es häufig ganz außen vor. Oder es wird später nicht mehr die Bedeutung beigemessen, die ihm eigentlich zukommen müsste – obwohl gemeinsames sexuelles Erleben auch dann noch möglich und für die Beziehung bereichernd wäre. Tatsächlich neigen wir in Beziehungen und auch als Menschen insgesamt dazu, dass das, was sich einmal eingespielt hat, nicht mehr ohne Weiteres verändert wird. Es ist nicht zwangsläufig so, aber oft beobachten wir genau das. Gleichzeitig muss das jedoch nicht endgültig sein. Auch nach vielen Jahren können Paare, die nie offen über Sexualität gesprochen haben, neue Offenheit entwickeln und ihre Sexualität auf eine andere Ebene bringen.