Partnerschaft oder Single-Dasein?
Mein letzter Artikel hat sich mit Einstellungen und Erlebnissen von Langzeitsingles bei der Online-Partnersuche beschäftigt. “Wie weiter als Langzeitsingle?“, lautete die Fragestellung.
In meinem heutigen Artikel greife ich diese Frage noch einmal auf. Auf der Basis soziologischer und psychologischer Forschungsbefunde stelle ich verschiedene Antworten dar, die Langzeitsingles sich selbst auf diese Frage geben können.
Wie immer, können diejenigen gleich zu Resümee und psychologischen Empfehlungen springen, die keinen längeren Artikel lesen und auf die Belege und Herleitungen verzichten möchten. Wer aber gerne liest, dem empfehle ich mein Buch “A Perfect Match? Online-Partnersuche aus psychologischer Sicht” als Ergänzung und Vertiefung für zahlreiche Fragen der Partnersuche und Partnerfindung.
Partnerschaft als normative Erwartung
Die israelische Soziologin Kinneret Lahad hat einen Artikel unter dem Titel “Stop waiting” geschrieben, in dem sie die normative, ja hegemoniale Ausrichtung auf partnerschaftliche Beziehungen hinterfragt und die Möglichkeiten alternativer Lebenswege von Frauen schildert, die Single sind.
Es geht in diesem Artikel um das subjektive Erleben der betreffenden Personen, also ihr eigenes Bild von sich und ihrem Leben. Abgeleitet werden die dargestellten Überlegungen und Erkenntnisse aus der Analyse von Werbeanzeigen, Blog-Artikeln und Ratgeber-Büchern, die Lahad als Ausdruck gesellschaftlich-normativen Drucks, aber auch als Ausdruck alternativer Trends und Perspektiven identifiziert.
Während die Verfasserin aus einer feministischen Sicht schreibt und sich mit Frauen beschäftigt, lassen sich ihre Beobachtungen nach meiner Einschätzung zwanglos auf alle Geschlechter übertragen.
Single-Dasein als Warten auf Erlösung
Lahad beginnt ihre Befund-Schilderungen mit einer Werbeanzeige für eine Mundspülung aus den 1920er Jahren in den USA:
- Unter dem Slogan “Oft eine Brautjungfer, nie eine Braut” werden alleinstehende Frauen präsentiert, deren ganzes Unglück ihr Single-Dasein sei. Die Lösung liege in einer Mundspülung, da die Betreffenden nur wegen eines Mundgeruchs niemals Braut geworden seien.
Die Autorin argumentiert, dass hier das Glück von Frauen auf eine Partnerschaft reduziert werde. Das Single-Dasein werde als ein reiner Wartemodus stilisiert, aus dem allein die Begegnung mit einem Partner die Erlösung bringen könne.
Weitere Implikation ist, dass wer Single bleibt, offensichtlich Defekte hat.
In einer Werbekampagne einer israelischen Schokoladen-Firma aus dem Jahr 2013 sieht Lahad den Beleg dafür, dass diese Sichtweise – trotz allem Wandel – fortbesteht:
- Der Werbeslogan heißt “Auch wenn Ihre Enkelin noch Single ist, wünsche ich Ihnen einen schönen Tag“
Wieder sehen wir die beiden Elemente des “Defektes” und des “Wartens”:
- Trotz Partnerlosigkeit, einen schöner Tag – Single-Dasein als Defekt.
“Noch Single” – Single-Dasein als Warten auf Beziehung.
Partnerschaft erscheint darüber hinaus hier sogar als Verpflichtung:
- Unter dem Single-Dasein leidet nicht nur die Enkelin, sondern offenbar auch deren Großmutter.
Resümee dieser Werbung ist, dass alle Singles auf Beziehung warten. Warten ist aber wie verlorene Zeit, was Lahad mit Rekursen auf Gefängnisinsassen und Flüchtlinge überzeugend verdeutlicht. Dazu passt, dass sich manche Singles tatsächlich wie in einem Gefängnis fühlen.
Single-Dasein als Warten ist im besten Fall wertlos, im schlimmsten Fall eine Qual mit bösem Ende – Lahad zitiert aus den ersten Bridget-Jones-Filmen:
- Plötzlich wurde mir klar, dass ich, wenn sich nicht bald etwas änderte, ein Leben führen würde, in dem meine wichtigste Beziehung eine Flasche Wein ist. . und dass ich schließlich fett und allein sterben würde …
Alternative Lebenswege
In Webseiten, Blogs und Ratgeber-Literatur findet Lahad Gegenentwürfe, für die das Single-Dasein kein Warten auf Erlösung ist – zwei Zitate (übersetzt ins Deutsche):
- SingleEdition.com bietet ein Lifestyle-Ziel, das die Kultur des Single-Daseins in den Mittelpunkt stellt. Die meisten alleinstehenden Erwachsenen, ob jung oder alt, leben ihr Leben nach ihren eigenen Vorstellungen, gestalten ein sinnvolles Leben und schaffen sich ihre eigenen Gemeinschaften, ohne etwas zu bereuen.
- Es ist vier Uhr morgens. Fünf Uhr morgens. Sechs, Sieben, Acht, Neun. Alles um mich herum ist still. Keiner schnarcht auf dem Kissen neben mir, keine Kinder, die ich in den Kindergarten bringen muss, kein Mann, mit dem ich meinen Kaffee zu trinken habe. Nur ich und niemand sonst außer mir. Es gibt keine Organisation, die von mir verlangt, Teil von ihr zu sein; alles hängt von mir ab, von meinem Tagesablauf, die Arbeit, die ich erledigen muss, oder meine Trainingsstunde im Fitnessstudio. Und diese Ruhe, diese Ruhe in meinem Leben ist mein größtes Glück. Das ist ein existenzieller gewählter statischer Zustand, den ich durch kein Geräusch ersetzen würde.
Was wir hier sehen, ist eine Verkehrung ins Gegenteil:
- Nun wird das Single-Dasein glorifiziert und tritt damit an die Stelle der traditionell glorifizierten Partnerschaft. Die Verkehrung wird als Befreiung erlebt.
Lahad zitiert jedoch eine weitere Stimme, die über beide bisher dargelegten Perspektiven hinausgeht oder bewusst einen Zwischenraum besetzt:
- Ich bin definitiv offen dafür, aus den Socken gehauen zu werden. Aber ich kaue nicht aktiv an meinen Nägeln und warte darauf.
Die Betreffende – eine erfolgreiche weibliche Filmproduzentin – ist Single und organisiert ihr Leben. Sie erlebt keinen Zwang nach Partnerschaft. Sie ist als Single weder unglücklich noch verzweifelt. Sie fällt aber auch nicht ins Gegenteil. Sie idealisiert das Single-Dasein nicht, erklärt es nicht zum Stein der Weisen oder zum finalen Lebensprinzip. Partnerschaft ist möglich, aber nicht nötig.
Single-Dasein und Partnerschaft als zwei Optionen, die beide aber auch dauerhaft bestehen können – so gelingt es dieser Filmproduzentin aus dem normativen Wartestand herauszutreten und bereits jetzt ihr Leben mit Sinn zu erfüllen, ohne auf irgendwelche Optionen zu verzichten.
In meiner (sicherlich subjektiven) Sichtweise sehe ich das gelassene Offenhalten der Optionen als die eigentliche Quintessenz aus dem Artikel von Lahad. Auf jeden Fall glaube ich, dass aus psychologischer Sichtweise genau dieses Offenhalten der Optionen für die meisten Singles, Langzeitsingles und Absolut Beginner (Menschen ohne Beziehungserfahrungen) die beste Lösung ist.
Warum fällt dies aber gerade Langzeitsingles und Absolute Beginnern oft schwer?
Hierzu hat der Psychotherapeut Jeffrey B. Jackson Überlegungen vorgelegt, die ich in aller Kürze skizzieren möchte:
Single-Dasein als ambivalente Trauer
Jackson beschäftigt sich mit Menschen, die noch nie in einer partnerschaftlichen Beziehung gewesen sind, sich eine solche aber wünschen.
Seine Analyse lässt sich jedoch ebenso auf Langzeitsingles übertragen, die bereits früher im Leben eine Beziehung hatten.
Der Ausgangspunkt der Überlegungen von Jackson ist die Bezeichnung überdauernder Partnerlosigkeit als unklarer oder ambivalenter Verlust:
- Die Betreffenden wünschen sich eine Beziehung. Beziehungspartner:innen sind insofern psychisch anwesend – in der Gestalt von Wünschen, Fantasien und Träumen.
- Physisch sind die Beziehungspartner:innen aber abwesend.
- Der Übergang von der psychischen zur physischen Ebene ist ein Verlust, weil das auf der Ebene von Wünschen und Fantasien Vorhandene verloren geht, wenn der Fokus auf die physische Realität gerichtet wird.
Am besten lässt sich dies durch folgende Vorstellung verstehen:
- Stellen Sie sich vor, Sie erwachen aus einem Traum und plötzlich ist das Beziehungsglück verschwunden.
Dieser Verlust von Langzeitsingles und Menschen ohne Beziehungserfahrungen ist jedoch nicht eindeutig, sondern unklar:
- Der Wunsch nach Beziehung kann sich noch erfüllen, er muss es aber nicht. Es ist den Betreffenden unbekannt, ob Beziehungspartner:innen künftig anwesend oder abwesend sein werden.
Jackson zieht zum Vergleich nunmehr die Situation von Angehörigen von Vermissten heran:
- Auch diese erleiden einen Verlust, da die psychisch weiterhin präsente Person physisch nunmehr abwesend ist. Auch hier ist der Verlust unklar, zweideutig oder ambivalent, weil es aufgrund des Vermissten-Status unbekannt ist, ob die Person in der Zukunft physisch wieder anwesend sein wird oder nicht.
Typischerweise folgt auf Verlust Trauer, auf die wir wiederum meistens mit Verarbeitung des Verlustes und dessen Integration in unser Leben als einer Art Abschließen reagieren. So gelingt die Trauer-Bewältigung, was nicht bedeutet, dass damit der Verlust vergessen wäre.
Angehörige von Vermissten haben aber die Schwierigkeit, dass sie nicht abschließen können, weil es unklar ist, ob der Verlust tatsächlich permanent eingetreten ist. Die Unsicherheit, ob vermisste Angehörige noch leben, lässt ein Abschließen als Abschluss der Trauerarbeit im eigentlichen Sinn nicht zu.
Ähnlich ergeht es nach Jackson Langzeitsingles:
- Die Betreffenden wissen nicht, ob die vermissten Partner:innen noch auftreten werden. Dadurch wird es ihnen erschwert, sich mit ihrem Singledasein zu identifizieren und mit dem Wunsch nach Beziehung abzuschließen.
- So entsteht ein Zustand einer Ambivalenz, der sich innerpsychisch in Schwankungen zwischen dem Festhalten an dem Beziehungswunsch und der Einstellung auf ein dauerhaftes Single-Dasein zeigen kann.
- Die resultierende ambivalente Trauer kann wegen ihrer Nicht-Abschließbarkeit zum seelischen Dauerschmerz werden.
Als Auswege aus dieser Situation benennt Jackson insbesondere die folgenden Strategien:
- Dialektisches Denken – Indem wir lernen, gegensätzliches zu denken, können wir mit Ambivalenzen besser umgehen: – Das Single-Dasein lieben und hassen. Zitat: “Single zu sein, ist eines der schwierigsten Dinge, die mir je passiert sind, weil ich mich traurig und allein fühle, UND Single zu sein ist eines der besten Dinge, die mir je passiert sind, weil ich daran arbeiten konnte, ein stärkerer Mensch zu werden”
- Akzeptanz der Ambivalenz – Das Verständnis der eigenen Ambivalenz und die Bejahung der damit einhergehenden Unsicherheit, was kommen wird, kann den Belastungsgrad durch die Ambivalenz mindern.
- Differenzierte Verantwortungs-Übernahme – Die Aufgabe der Illusion, alles kontrollieren zu können, erleichtert die Akzeptanz und den Umgang mit Unklarheit. Es geht um eine Differenzierung dessen, was wir kontrollieren oder verändern können und was wir nicht kontrollieren oder verändern können. Die Abgabe von Verantwortung für Dinge, die wir nicht kontrollieren können, entlastet. Gleichzeitig können wir dadurch besser Verantwortung für Dinge übernehmen, die wir kontrollieren oder ändern können. So können wir uns durch eigenes Handeln Optionen auf Beziehung schaffen und offenhalten, auch wenn wir Beziehung selbst nicht erzwingen können.
- Sinn finden – Sinn ist ein wichtiger Faktor des Lebensglücks. Sinn entsteht, wenn wir in positive Aktivitäten eingebettet sind, die es uns erlauben, konsistent mit unseren Werten und Überzeugungen zu handeln. Hierüber wiederum haben wir in hohem Ausmaß selbst die Kontrolle oder können diese herstellen. Sinn ist nicht an eine Partnerschaft gebunden, sondern kann unmittelbar beginnen und wirkt sich selbst unter starken Stressbedingungen stabilisierend aus.
- Selbstbild erweitern – Aus den Analysen von Lahad wurde plastisch deutlich, wie stark der normative Druck zu einer Beziehung sein kann. Wir neigen dazu, solchen Druck zu internalisieren. Langzeitsingles werden oft von ihrer Umgebung vor allem als Singles gesehen und sehen sich nicht selten auch selbst so. Es gibt aber weitaus mehr in ihrem Leben als die Sachlage, dass sie Single sind. Es ist wichtig, sich in seiner Identität nicht auf das Single-Dasein eingrenzen zu lassen, sondern zu einem ganzheitlichen Selbstbild zu finden.
- Hoffnung entdecken – Einfach pauschal oder unbegründet auf das Prinzip Hoffnung zu setzen, hilft nicht weiter, kann eher zu Resignation oder Fatalismus führen. Entscheidend ist die Unterscheidung zwischen Hoffnungen, die aufgegeben, modifiziert oder beibehalten werden sollten. Wichtig ist die Hoffnung auf ein glückliches und erfülltes Leben, für die ich selbst Anknüpfungspunkte bereitstellen kann. Die von Lahad zitierte Filmemacherin hat es geschafft, Hoffnung zu entdecken auf ein glückliches Leben als Single und ein glückliches Leben in einer Beziehung und genau damit hat sie sich alle Möglichkeiten aufrechterhalten.
Menschen auf Partnersuche
Das Lesen der Arbeiten von Lahad und Jackson hatte für mich einen außerordentlichen Wiedererkennungswert:
- An die vielen positiven und negativen, kurzen und langen Rückmeldungen von Mitgliedern denkend, war es fast wie ein Déjà-vu. Denn das, was Lahad und Jackson ausführen, entspricht in hohem Ausmaß dem, was unsere Mitglieder berichten oder was hinter ihren Berichten sichtbar wird.
Trauer, Verzweiflung, Wut, Empörung, Angst oder Frustration begleiten die Partnersuche derjenigen, die die Uneindeutigkeit der Situation nicht annehmen wollen, eine Kontrolle einfordern, die nicht möglich ist, ihre Single-Situation zu stark in den Fokus ihres Selbstbildes rücken oder nicht ausreichend darauf achten, jetzt und sofort Sinnstrukturen in ihr Leben einzubauen. So richten sie die einzige Hoffnung auf den Erfolg der Partnersuche und werden belastet, wenn dieser Erfolg (noch) nicht sichtbar ist.
Manche wenden sich mit regelrechten Schimpftiraden gegen uns, weil sie nicht annehmen wollen oder können, dass die Kontrolle weder bei uns noch bei ihnen liegt.
Ich solle keine Artikel schreiben, sondern ihnen Partner:innen vermitteln, teilen mir andere mit.
Viele – die meisten – können aber die Zweideutigkeit der Situation des Single-Daseins annehmen, bemühen sich um Sinn in ihrem Alltag und in ihren Zukunftsvisionen. Sie bleiben in einer tragfähigen Art und Weise hoffnungsvoll, weil sie sich die Option auf Beziehung offenhalten und sich gleichzeitig nicht ausschließlich über ihr Single-Dasein definieren oder sich darüber grämen.
Es gibt viele Grautöne und ich habe hier nur zwei Grundtendenzen geschildert. In Wirklichkeit schwanken wir ja alle und ständig zwischen diesem und jenem, jedenfalls dann, wenn wir unsere Augen und Sinne offenhalten.
Für manche Langzeitsingles, die die Ambivalenz partout nicht tragen wollen oder auch nicht können, mag die andere bei Lahad geschilderte Alternative der richtige Ausweg sein:
- der endgültige Abschied von partnerschaftlichen Beziehungswünschen und die unzweideutige, positive Identifikation mit dem Single-Dasein. Von Lahad zitierte Ratgeber-Titel mit diesem Resümee lauten (ins Deutsche übersetzt): “Single: Die Kunst des Zufriedenseins”, “Erfüllt und unabhängig zu sein”; “Allein leben und es lieben”; oder Besser Single als enttäuscht: Ein Leitfaden, um sich selbst zu lieben und nie zu binden”.
Es ist möglich, aber nicht notwendig, diesen Schritt zu gehen:
- Eine zufriedene Lebensführung und die aktive Offenhaltung der Option für eine Partnerschaft lassen sich gut miteinander verbinden. Je besser diese Verbindung gelingt, desto mehr Ambiguitäts-Toleranz und Gelassenheit entstehen. Diese wiederum erleichtern es Partnersuchenden, bei der Partnersuche dran zu bleiben, wenn sie sich für diesen Weg entschieden haben und zwar solange, wie sie sich die Option einer Beziehung weiterhin offenhalten möchten.
Bei Gleichklang gibt es übrigens nicht nur die Partnervermittlung, sondern auch die Freundschaftssuche, von der wiederum unsere Kontaktlisten einen wichtigen Teil bilden. Diese können in Form von Projekten, Gemeinschaften, gemeinsamen Aktivitäten oder beruflichen Kooperationen Mitglieder dabei unterstützen, durch eine neue Vernetzung mehr Sinn in ihr Leben zu bringen. Und daraus wiederum können ebenfalls Partnerschaften werden, wenn Menschen sich bei gemeinsamen Projekten und Zielstellungen begegnen.
(In wenigfen Taten wird übrigens eine weitere Kontaktliste verfügbar sein, auf der sich Mitglieder eintragen können, die gerne Gleichklang-Regionalgruppen organisieren wollen.)
Zusammenfassung
Resümee und psychologische Empfehlungen
Viele Langzeitsingle und Menschen ohne Beziehungserfahrungen wünschen sich eine Partnerschaft und leiden unter ihrer Situation.
Oft erleben Singles einen internalisierten Druck zur Partnerschaft, der nach soziologischen Befunden aus der normativen und hegemonialen Ausrichtung der Gesellschaft auf partnerschaftliche Beziehungen stammt. Das Singledasein wird in diesem Sinne als eine Wartezeit auf die Erlösung durch eine Partnerschaft verstanden. Wer dauerhaft Single bleibt, habe einen Defekt. Indem Langzeitsingles für sich diese gesellschaftlichen Erwartungen übernehmen, erleben sie sich tatsächlich als defekt und können einen erheblichen Leidensdruck entwickeln.
Der normativen Ausrichtung auf Beziehungen stellen einige Singles das Gegenteil engegen; nämlich das Single-Daseins als positives Lifestyle-Modell. Nach den eigenen Vorstellungen leben, unabhängig und frei von den sich aus einer Partnerschaft ergebenen Begrenzungen und ungewollten Kompromissen. In diesem Modell wird nunmehr das Single-Dasein glorifiziert und tritt damit an die Stelle der traditionell glorifizierten Partnerschaft.
Die normative Beziehungs-Perspektive zwingt zur Beziehung. Der Gegenentwurf des Single-Daseins als Befreiung macht Partnerschaft unmöglich. Dieses Gegenmodell stößt aber seinerseits an Grenzen, weil die Mehrheit der Partnerlosen auch jenseits gesellschaftlichen Druckes sich eine Beziehung wünscht.
Es gibt jedoch eine Perspektive jenseits beider Modelle, bei der Singles weder unglücklich und verzweifelt sind, noch das Heil in der Idealisierung des Single-Daseins suchen, sondern Single-Dasein und Partnerschaft für ihr Leben dauerhaft als zwei Optionen ansehen. So können sie aus dem normativen Wartestand als Singles heraustreten, ihr Leben mit Sinn erfüllen und sich gleichseitig die Option auf eine Partnerschaft aufrechterhalten, ohne unter ihrer aktuellen Partnerlosigkeit zu leiden.
Eine solche Grundhaltung ist aus psychologischer Sichtweise für die meisten Singles sicherlich die beste Lösung. Warum aber fällt es so vielen Singles schwer, zu einer solchen gelassenen Herangehensweise an ihr Single-Dasein und eine mögliche künftige Partnerschaft zu finden?
Der Psychotherapeut Jeffrey B. Jackson hat hierzu Überlegungen vorgelegt, gemäß derer Langzeitsingles einen zweideutigen oder ambivalenten Verlust erleiden:
- Die Betreffenden wünschen sich eine Beziehung. Beziehungspartner:innen sind insofern in der Gestalt von Wünschen, Fantasien und Träumen tatsächlich psychisch anwesend. Physisch sind die Beziehungspartner:innen aber abwesend. Der Übergang von der psychischen zur physischen Ebene ist somit ein Verlust, weil das auf der Ebene von Wünschen und Fantasien Vorhandene verloren geht, wenn der Fokus auf die physische Realität gerichtet wird.
- Dieser Verlust von Langzeitsingles und Menschen ohne Beziehungserfahrungen ist jedoch nicht eindeutig, sondern unklar, weil nicht bekannt ist, ob sich der Wunsch nach Beziehung später erfüllen wird oder nicht. Aufgrund dieser Unklarheit entsteht eine komplizierte, ambivalente Trauer. Denn es kann nicht – analog zu einer Trauersituation – mit dem Verlust abgeschlossen werden, wenn der Wunsch nach Beziehung weiterhin psychisch präsent bleibt.
- Langzeitsingles wissen also nicht, ob die vermissten Partner:innen noch auftreten werden. Dadurch wird es ihnen erschwert, sich mit ihrem Singledasein zu identifizieren und mit dem Wunsch nach Beziehung abzuschließen. So entsteht ein Zustand der Unsicherheit und Ambivalenz, der sich in Schwankungen zwischen dem Festhalten an dem Beziehungswunsch und der Einstellung auf ein dauerhaftes Single-Dasein zeigen kann. Die resultierende ambivalente Trauer kann wegen ihrer Nicht-Abschließbarkeit zum seelischen Dauerschmerz werden.
Welche Auswege sind für Langzeitsingles möglich?
Jackson benennt sechs Strategien, die Langzeitsingles einen Umgang mit ihrer Partnerlosigkeit erleichtern, ohne den Gedanken an eine künftige Beziehung aufgeben zu müssen:
- Dialektisches Denken – das Singledasein lieben und hassen. Indem wir lernen, gegensätzliches zu denken, können wir mit Ambivalenzen besser umgehen.
- Akzeptanz der Ambivalenz – Das Verständnis der eigenen Ambivalenz und die Bejahung der damit einhergehenden Unsicherheit über die Zukunft senkt Belastungen durch Ambivalenz.
- Differenzierte Verantwortungs-Übernahme – Die Aufgabe der Illusion, alles kontrollieren zu können, erleichtert die Akzeptanz und den Umgang mit Unklarheit. Die Abgabe von Verantwortung für Dinge, die wir nicht kontrollieren können, entlastet. Gleichzeitig können wir dadurch besser Verantwortung für Dinge übernehmen, die wir kontrollieren oder ändern können.
- Sinn finden – Sinn ist ein wichtiger Faktor des Lebensglücks. Sinn entsteht, wenn wir in positive Aktivitäten eingebettet sind, die es uns erlauben, konsistent mit unseren Werten und Überzeugungen zu handeln. Sinn ist nicht an eine Partnerschaft gebunden, sondern kann unmittelbar beginnen.
- Selbstbild erweitern – Langzeitsingles werden oft von ihrer Umgebung vor allem als Singles gesehen und sehen sich nicht selten auch selbst so. Es gibt aber weitaus mehr in ihrem Leben als die Sachlage, dass sie Single sind. Es ist wichtig, sich in der eigenen Identität nicht auf das Single-Dasein eingrenzen zu lassen.
- Hoffnung entdecken – Einfach pauschal zu hoffen, hilft nicht. Entscheidend ist die Unterscheidung zwischen Hoffnungen, die aufgegeben, modifiziert oder beibehalten werden sollten. Es geht darum, Hoffnung zu entdecken auf ein glückliches Leben als Single und ein glückliches Leben in einer Beziehung und sich so alle Optionen offenzuhalten.
Diese soziologischen und psychologischen Befunde und Überlegungen entsprechen in hohem Ausmaß dem, was viele Gleichklang-Mitglieder uns gegenüber zum Ausdruck bringen:
- Trauer, Verzweiflung, Wut, Empörung, Angst oder Frustration begleiten die Partnersuche derjenigen, die die Uneindeutigkeit der Situation nicht annehmen wollen, eine Kontrolle einfordern, die nicht möglich ist, ihre Single-Situation zu stark in den Fokus ihres Selbstbildes rücken oder nicht ausreichend darauf achten, jetzt und sofort Sinnstrukturen in ihr Leben einzubauen. So richten sie die einzige Hoffnung auf den Erfolg der Partnersuche und werden belastet, wenn dieser Erfolg (noch) nicht sichtbar ist.
- Die meisten können aber die Zweideutigkeit der Situation des Single-Daseins annehmen, bemühen sich um Sinn in ihrem Alltag und in ihren Zukunftsvisionen. Sie bleiben in einem tragfähigen Sinne hoffnungsvoll, weil sie sich die Option auf Beziehung offenhalten und sich gleichzeitig nicht ausschließlich über ihr Single-Dasein definieren.
Für mache Singles mag es sinnvoll sein, den radikalen Schritt zu tun, sich mit ihrem Single-Dasein zu identifizieren und den Wunsch nach einer partnerschaftlichen Beziehung aufzugeben.
Für die meisten Partnerlosen lautet aber die Empfehlung, eine sinnerfüllte Lebensführung mit dem Offenhaltung der Option für eine Partnerschaft zu verbinden. Hierdurch entsteht mehr Toleranz gegenüber Ambivalenz und mehr Geduld, die es Ihnen erleichtern wird, ohne große seelische Belastung bei der Partnersuche dran zu bleiben, jedenfalls solange Sie sich eine Beziehung als Option offenhalten möchten.
Die Etablierung von in soziale Vernetzung eingebettetem Lebenssinn unterstützen wir bei Gleichklang übrigens auch über unsere Kontaktlisten zu Projekten, Gemeinschaften, gemeinsamen Aktivitäten oder beruflichen Kooperationen. Manchmal werden hieraus wiederum Partnerschaften, wenn Menschen sich bei gemeinsamen Projekten und Zielstellungen begegnen.