Balance von Nähe und Distanz
Dieser Artikel handelt von den zentralen Dimensionen von Nähe und Distanz, Bezogenheit und Unabhängigkeit, die für partnerschaftliche Beziehungen prägend sind.
Es wird gezeigt, wie sich diese Bedürfnisse mit dem Alter oft verändern und wie junge, ältere und alte Partnersuchende durch eine Balance der Bedürfnisse befriedigende und tragfähige Beziehungen finden und aufbauen können.
Bei den Fragen von Nähe zu Distanz, Bezogenheit zu Unabhängigkeit handelt es sich zunächst durchaus auch um Stile der Beziehungsgestaltung, die wir ändern können.
Wir mögen zusammen oder getrennt leben, wir mögen uns viel oder wenig sehen, wir mögen eher in der Gemeinsamkeit aufgehen oder uns mehr als unabhängige Menschen erleben:
- Der gleiche Mensch mag zu unterschiedlichen Zeiten und mit unterschiedlichen Personen unterschiedliche Beziehungen führen. Verschiedene Formen mögen mit dem gleichen Glück verbunden sein.
Andererseits kommen in den Fragen von Nähe, Distanz, Bezogenheit und Unabhängigkeit nicht selten tiefgreifende innere Bedürfnisse zum Ausdruck:
- Ist dies der Fall, wird eine Inkompatibilität von Bedürfnis und gelebter Beziehung nicht ohne Verlust von Zufriedenheit möglich sein, auch wenn durchaus Anpassungs- und Gewöhnungsprozesse auftreten können, die eine Beziehung erhalten können. Das ganz große Glück, wird jedoch selten eintreten.
Schließlich mag es Lebensereignisse und Außenfaktoren geben, die das Verhältnis von Nähe zu Distanz, Bezogenheit zu Unabhängigkeit bestimmen. Diese mögen sich günstig auswirken, indem eine externe Konstellation oder auch ein wegfallender Außendruck den eigenen Bedürfnissen freieren Raum gibt. Sie mögen sich aber auch ungünstig auswirken, wenn der Druck der Außenfaktoren sich den eigenen Bedürfnissen entgegenstellt:
- So mag im jüngeren oder mittleren Alter ein Kinderwunsch für eine gemeinsame Wohnung sprechen, selbst wenn sich Beziehungspartner:innen in getrennten Wohnungen wohler fühlen. Finanzielle Knappheit mag eine ähnliche Wirkung haben. Auch für die Heirat als institutionalisierter Ausdruck von Paarbindung mögen Außenfaktoren, wie Finanzen oder soziale Erwartungen sprechen.
Im wachsenden Alter können viele dieser Faktoren jedoch wegfallen oder sich verändern:
- Das Thema “Kinderwunsch” tritt zurück, die Erwartung einer Heirat durch das soziale Umfeld sinkt, Finanzen und Lebenssituationen sind oft bereits gefestigt. Nun sprechen die Außenfaktoren eher für stärkere Unabhängigkeit. Dies kann hilfreich sein. Es kann aber auch belastend sein, wenn das eigene Nähe-Bedürfnis hoch ist und beispielsweise die erwachsenen Kinder einer erneuten Ehe negativ gegenüberstehen.
Es treten im wachsenden Alter zudem gleichzeitig neue Faktoren hinzu, beispielsweise beginnende Erkrankungen von einem selbst oder den Beziehungspartner:innen oder die Angst vor diesen.
All dies muss nicht bewusst und ausgesprochen sein, es kann mehr oder weniger implizit oder explizit unsere Partnersuche und unsere Art der Beziehungsgestaltung prägen.
Durch diese Wirkfaktoren mögen Präferenzen entstehen, die sich an unsere tieferliegenden Bedürfnisse annähern, aber ebenso mögen Präferenzen entstehen, die unsere eigentlichen Bedürfnisse außer Kraft setzen oder uns in einen Zustand der Ambivalenz versetzen:
- So mag ein starkes Bedürfnis nach Zusammensein, Zusammenleben etc. bestehen, aber die Sorge davor, (erneut) in die Pfleger:innenrolle zu geraten, lässt uns eine Beziehung auf Distanz suchen. Dadurch wird die Angst reduziert, aber mit ihr gegebenenfalls auch die Zufriedenheit.
Kompliziert wird dies dadurch, dass es nicht nur um eine Person und ihre Lebenssituation und ihre Bedürfnisse geht, sondern im Regelfall um zwei Personen:
- Mag die Befürchtung von Erkrankung und Pflegebedürftigkeit bei potentiellen Beziehungspartner:innen das Unabhängigkeitsmotiv aktivieren, mag es beim Betroffenen selbst umgekehrt den Wunsch nach Nähe und Fürsorge erzeugen. Fürchten die einen den Verlust ihrer Freiheit, haben die anderen Angst vor Alleinsein oder im Stich gelassen werden.
Stehen sich Bedürfnisse widerstreitend gegenüber oder wirken sich Außenfaktoren für die Beteiligten gegenläufig aus, wird bereits der Beginn einer Beziehung durch Komplikationen geprägt sein.
Je weniger explizit die Klärung erfolgt, desto dauerhafter werden sich diese Komplikationen auswirken. Eine Klärung mag aber umgekehrt ebenso darin resultieren, dass von einer Beziehung Abstand genommen wird.
Am glücklichsten wird eine Beziehung meistens dort werden, wo sich zwei Menschen begegnen, deren innere Bedürfnisse im Hinblick auf Nähe und Distanz übereinstimmen und die beide Lebensereignissen oder Außenfaktoren ausgesetzt sind, die diese Bedürfnisse fördern oder sich ihnen wenigstens nicht entgegenstellen.
Am unglücklichsten wird umgekehrt typischerweise eine Beziehung werden, wo innere Bedürfnisse sich widersprechen und zusätzlich die jeweiligen Außenfaktoren das eigene Bedürfnis – und damit den Kontrast – weiter verstärken:
- eine Person möchte in der eigenen Wohnung leben, auf keinen Fall heiraten und den Partner nur gelegentlich sehen. Die Person ist eingebunden in ein enges familiäres Netzwerk mit erwachsenden Kindern und Enkelkindern, die sich keinen neuen Beziehungspartner:innen für Mutter, Oma, Vater oder Opa wünschen.
- die andere Person hat weniger intensive Familienkontakte, sieht Partnerschaft vorwiegend als Dyade zweier Menschen, die den größten Teil des Alltags miteinander verbringen. Die eigenen Verwandten wären womöglich froh, wenn eine andere Person die Sorge für das seelisch-physische Wohl von Mutter, Oma, Vater oder Opa übernehmen würde.
Nicht optimal – aber bei bewusster Abgrenzung von äußeren Faktoren besser zu bewältigen – sind Konstellationen, bei denen die Bedürfnisse beider Seiten in die gleiche Richtung gehen, aber die Außenfaktoren bei einer oder beiden Seiten einen Gegendruck ausüben.
Glücklich können solche Beziehungen vorwiegend werden, wenn eine Distanzierung von den Außenfaktoren gelingt, wenn sich die Betreffenden also wagen, gemäß ihrer eigenen Bedürfnisse zu leben und dabei die Außenfaktoren so gut wie möglich zu managen:
- Familienangehörige können lernen oder die Betreffenden können es ihnen lehren, eine neue Beziehung zu akzeptieren und mit dieser umzugehen.
- Trotz Sorge um Gesundheit und Pflegebedürftigkeit kann eine räumlich und emotional enge Beziehung entstehen, wenn die Betreffenden bereits vorher planen, wie sie sich durch Dritte effektiv unterstützen lassen können.
- Auch wenn alles zu Heirat und Zusammenziehen drängt, können sich junge Paare entscheiden, auch mit Kindern eine Beziehung mit getrennten Wohnungen zu führen. Wird dies positiv gelebt, werden die Kinder nicht darunter leiden und die Außenwelt wird sich daran gewöhnen.
Aber auch umgekehrt, wenn die Bedürfnisse zu einer Konstellation “Nein” und der sich (jedenfalls temporär) durchsetzende Außendruck “Ja” sagt , mag eine Beziehung durchaus gelingen:
- die Finanzen “zwingen” Paare zum Zusammenziehen oder der Beruf “zwingt” sie umgekehrt zur räumlichen Distanz (Fernbeziehung).
Stimmen die Bedürfnisse überein, aber der Außendruck setzt sich durch, können es die Planung der Zukunft und die begründete Hoffnung auf Veränderung sein, die eine Beziehung stabilisieren.
Alter, Nähe und Unabhängigkeit
Bei Gleichklang erfragen wir eine Reihe von Parametern, die sich auf Nähe und Distanz, Verbundenheit und Unabhängigkeit beziehen:
- möchten Sie in einer Beziehung zusammenleben?
- möchten Sie heiraten?
- streben Sie eine Fernbeziehung an?
- möchten Sie möglichst vieles alleine oder zusammen tun?
In aller Kürze zusammengefasst sehen wir folgende Geschlechter-und Alterstrends bei unseren Mitgliedern:
- Mit wachsendem Alter nimmt im Durchschnitt der Wunsch nach Heirat, Zusammenleben und einer symbiotischen Beziehung mit wenig Eigenständigkeit ab. Umgekehrt nimmt mit wachsendem Alter die Bereitschaft für eine Fernbeziehung zu. Diese Entwicklung ist bei Frauen im Durchschnitt stärker ausgeprägt und konsistenter als bei Männern.
Dies sei anhand ganz weniger Zahlen verdeutlicht – wer sich für solche Zahlen und auch die folgenden kurzen statistischen Analysen nicht interessiert, springen Sie bitte einfach zum nächsten Abschnitt “Interpretation der Alters- und Geschlechtseffekte“:
- Unter den 18 bis 29 jährigen Mitgliedern möchten 74,5 % der Frauen und 80,6 % der Männer zusammenleben. 46,5 % der Frauen und 37,5 % der Männer wollen heiraten. Eine Fernbeziehung schließen 44,4 % der Frauen und 46,4 % der Männer aus. 39,1 % der Frauen und 49,8 % der Männer wollen sehr viel oder das meiste zusammen unternehmen.
- Unter den 50 bis 59 jährigen Mitgliedern möchten nur noch 43,3 % der Frauen und 61,1 % der Männer zusammenleben. Nur 13,7 % der Frauen und 17,8% der Männer wollen heiraten. Eine Fernbeziehung schließen 35,3% der Frauen und 38,3 % der Männer aus. Nur 27,7 % der Frauen und 42,4% der Männer wollen sehr viel oder das meiste zusammen tun.
- Unter den Mitgliedern, die älter als 70 Jahre sind, möchten sogar nur 27,6 % der Frauen, aber noch 56,6 % der Männer zusammenleben. Lediglich 7,3 % der Frauen und nur 11,0 % der Männer wollen heiraten. Eine Fernbeziehung schließen nur noch 27,7 % der Frauen, aber immer noch 41,4 % der Männer aus. Nur 23,2 % der Frauen, aber weiterhin 42,9 % der Männer wollen sehr viel oder das meiste zusammen tun.
Hauptsächlich sehen wir also das Folgende:
- der Wunsch nach Zusammenleben und Heirat nimmt bei Männern und Frauen mit wachsendem Alter stark ab.
- Frauen werden sehr viel aufgeschlossener für eine Fernbeziehung, während es hier bei Männern keinen einheitlichen Trend gibt, aber am wenigsten offen für eine Fernbeziehung ist auch bei Männern die jüngste Altersgruppe 18 bis 29.
- bei Frauen nimmt mit dem Alter der Anteil derjenigen, die viel oder alles zusammen unternehmen wollen, konsistent ab. Bei Männern ist der Trend weniger konsistent, aber auch hier ist erneut der Anteil derjenigen, der viel oder das meiste gemeinsam miteinander unternehmen möchte, am höchsten in der jüngsten Altersgruppe der 18 bis 29-Jährigen.
Weitere statistische Analysen zeigen, dass eine entscheidende Rolle für diese Veränderungen offenbar der abnehmende Kinderwunsch mit wachsendem Alter spielt:
- Zusammenleben, Heirat und gemeinsame Kinder prägen einen starken statistischen Faktor. Ein zweiter Faktor bezieht sich – unabhängig vom Kinderwunsch – auf Fernbeziehung und (auch) separate Aktivitäten versus Zusammenleben und viel gemeinsam tun wollen.
Beide Faktoren zeigen mit wachsendem Alter Veränderungen dahingehend, dass der Wunsch nach Zusammenleben, Heirat und Kinderwunsch abnimmt und umgekehrt die Bereitschaft zu Fernbeziehung und (auch) separaten Aktivitäten zunimmt.
Wir können (statistisch) den Kinderwunsch kontrollieren und diesen so aus diesen Zusammenhängen entfernen. Geschieht dies, nehmen die Alterstrends in allen Aspekten (Zusammenleben, Heirat, Fernbeziehung, vieles zusammen versus vieles separat tun) stark ab und verschwinden bei Männern sogar fast vollständig.
Nun zeigt sich folgendes Bild:
- mit wachsendem Alter möchten Frauen weiterhin seltener zusammen wohnen, seltener heiraten und sind öfter bereit für eine Fernbeziehung. Demgegenüber hat das Alters – wenn wir von den Auswirkungen des Kinderwunsches absehen – keine Auswirkung mehr auf den Wunsch möglichst viel miteinander zu unternehmen
- mit wachsendem Alter wollen Männer weniger heiraten, während das Alter – wenn wir von den Auswirkungen des Kinderwunsches absehen – keine Auswirkungen mehr auf den Wunsch hat, zusammen zu leben, die Bereitschaft für eine Fernbeziehung oder den Wunsch, möglichst vieles gemeinsam zu tun.
Interpretation der Alters- und Geschlechtseffekte
Insbesondere Frauen, aber zu einem geringeren Grad auch Männer, zeigen mit wachsendem Alter ein zunehmendes Interesse an einer stärker autonomen-unabhängigen Beziehungsführung.
Dies lässt sich erkennen anhand eines geringeren Interesses an Zusammenleben und Heirat, höherer Bereitschaft für eine Fernbeziehung und einem stärkeren Interesse an auch separaten und nicht nur gemeinsamen Unternehmungen.
Hauptursache für diese Veränderungen ist der abnehmende und schließlich wegfallende Kinderwunsch:
- Mit dem wegfallenden Kinderwunsch entfällt ein äußerer Druck oder Anreiz zu Heirat, Zusammenziehen und mit den Kindern gemeinsam verbrachter Zeit, wodurch auch die Bereitschaft für eine Fernbeziehung zunimmt.
- Diese äußeren Faktoren scheinen insofern umgekehrt der Hauptgrund dafür zu sein, dass unsere jüngeren Mitgliedern deutlich stärker an Zusammenziehen, Heirat, sehr viel Gemeinsamkeit interessiert sind und Fernbeziehungen besonders oft ablehnen.
- Der Wegfall des Kinderwunsches und der mit minderjährigen Kindern verbundenen Anforderungen lässt im wachsenden Alter neue Wege der Beziehungsgestaltung sichtbar werden, die mit einem höheren Streben nach Autonomie und Eigenständigkeit verbunden sind.
Allerdings gibt es noch weitere Faktoren – abgesehen vom Kinderwunsch- die zu einer Abnahme des Heiratswunsches bei beiden Geschlechtern mit wachsendem Alter führen und bei Frauen den Wunsch nach Zusammenziehen reduzieren, sowie die Bereitschaft für eine Fernbeziehung und auch separater Betätigung erhöhen.
Diese weiteren Faktoren wurden in der aktuellen Auswertung nicht betrachtet, ich werde ihnen aber unter Rückgriff auf vorliegende qualitative Untersuchungen im Folgendem nachgehen.
Als Zwischenresümee möchte ich die Rolle der eigenen Bedürfnisse betonen und die Wichtigkeit, sich mit ihnen tatsächlich auseinanderzusetzen, um so eine bedürfniskonsistente Beziehungsgestaltung möglich zu machen:
- Durchschnittstrends sagen nichts über Ihre eigenen Bedürfnisse aus. Sie können Ihnen nur Anlass und Anregung zur Selbstreflexion geben, sollten aber nicht als Rahmen missverstanden werden, an dem Sie sich notwendigerweise orientierten müssten oder sollten.
- So mag es junge Partnersuchende geben, deren Bedürfnisse wesentlich stärker für ein autonom-unabhängiges Beziehungsmodell sprechen, während umgekehrt manche älteren Menschen mit Heirat und Zusammenziehen am glücklichsten werden mögen.
- Entscheidend ist, über die verschiedenen Optionen – die es in jedem Alter gibt – nachzudenken, dadurch die eigenen Bedürfnisse zu klären und entsprechend Partnersuche und Beziehungsgestaltung möglichst bedürfniskonsistent anzugehen.
Die Ergebnisse mögen aber auch noch einmal Ressourcen stärker in den Blickwinkel rücken, die mit der eigenen Lebenssituation und dem eigenen Alter verbunden sind:
- Jüngere Menschen mögen sich auf Elternrolle und Kinder freuen, ältere Menschen können aber wiederum genau den Wegfall des Kinderwunsches als Befreiung erleben und dadurch im Rahmen einer liebenden Beziehung dennoch zu mehr Autonomie und Unabhängigkeit aufbrechen.
Beziehungstypen zwischen Verbundenheit und Autonomie
Chaya Koren hat ältere Paare befragt, die im höheren Lebensalter (ab 60 bis über 80 Jahren) nach Verlust durch Tod oder Scheidung eine neue Beziehung fanden. Dabei rückte Sie den Zusammenhang von körperlicher und emotionaler Nähe in den Vordergrund und untersuchte diesen Zusammenhang in den Bereichen “Partnerschaftliches Wohnarrangement”, “Teilhabe an der inneren Welt der anderen Person”, “Balance zwischen Ich-Sein und Wir-Sein”, “Sexualität und Zärtlichkeit”, sowie “Einflüsse der erwachsenen Kinder”.
Auf diese Weise konnte die Autorin vier Beziehungstypen identifizieren – ich orientiere mich hier sehr eng an der Zusammenfassung der Autorin:
- Zusammenleben (physisch und emotional): Bei diesen Paaren gingen physischer und emotionaler Raum ineinander über. Die physische Präsenz wurde als wichtige Bedingung und Bereicherung des emotionalen Zusammenseins erlebt. Die Betreffenden sahen durchaus ihre unterschiedlichen inneren Welten, konnten diese aber deutlich machen, an ihnen wechselseitig teilnehmen und diese als Bereicherung in der Beziehung nutzbar machen. Dem Wir-Sein kam ein großes Gewicht innerhalb des Ich-Seins zu. Sexuell-zärtliche Bezüge waren stark ausgeprägt. Die eigenen Kinder wurden in die Beziehung positiv als Teil der Familie integriert. Wir sehen hier also das Modell einer großen Nähe, welches den Betreffenden beglückendes Beziehungserleben ermöglichte, ohne dass dies als Verlust von Eigenständigkeit erlebt wurde.
- Räumlich getrennt und emotional zusammen: Diese Paaren lebten räumlich getrennt, schilderten aber eine intensive emotionale und alltagsbezogene Verbundenheit. Die Autorin gelangt zu dem Schluss, dass diese Paare gerade die räumliche Distanz benötigten, um diese emotionale Nähe zu erfahren. Auch vor dem Hintergrund vorhergehender langjähriger Eheerfahrungen wollten die Betreffenden in ihrer neuen Beziehung für ein besseres Gleichgewicht mehr physischen Raum für sich selbst, Autonomie und räumliche Getrenntheit, um Intimität und einen wechselseitigen Zugang zur eigenen inneren Welt zu ermöglichen. Eine zu hohe räumliche Nähe wäre von diesen Paaren eher als störend erlebt worden, auch vor dem Hintergrund der Reflexion altersbezogener Gewohnheiten und Veränderungen. Auch diese Paare schilderten ein erfülltes und zärtliches Sexualleben. Es bestand ein guter Kontakt zu den Kindern.
- Räumlich zusammen und emotional getrennt: Diese Paare lebten zusammen, aber nicht aus beiderseitigem Wunsch heraus. In den von der Autorin untersuchten Paaren waren es die Männer, die unbedingt zusammenleben wollten und die Frauen, die diesem Drängen gegen ihr eigenes Erleben nachgaben unter der Bedingung der Aufrechterhaltung der Unabhängigkeit. Doch dieser Kompromiss war nach den Beobachtungen der Autorin nicht in der Lage, die inneren Bedürfnis-Divergenzen zu überwinden, so dass das räumliche Zusammenleben zu keinem emotionalen Zusammenleben führte. Es fand nur eingeschränkt ein Zugang zur wechselseitigen inneren Welt statt, im Vordergrund stand eher das Ich als das Wir, die Sexualität schlief ein. Es wurde zudem eine geringe Akzeptanz der Beziehung durch die Kinder beschrieben, was die emotionale Distanz erhöhte.
- Räumlich und emotional getrennt: Bei diesen Paaren war die Distanz maximal, räumlich, emotional, familiär und sexuell. Ein wechselseitiger Zugang zur inneren Welt bestand kaum, ein Wir lag höchstens in Ansätzen vor, was sogar bis hin zu Respektlosigkeit und Abwertung ging. Es bestand eine durchgängige Inkongruenz und Begegnungen waren eher kürzere und seltene Treffen. Die emotionale Distanz war nicht illusionär verdeckbar, zumal die räumliche Nähe nicht gegeben war und zusätzlich wenig gemeinsamer Bezug bestand. Wenig überraschend wurde die Beziehung durch die Kinder abgelehnt oder mindestens kritisch gesehen.
Es zeigten sich ebenfalls starke Unterschiede zwischen diesen vier Typen und der Beziehungsqualität:
- Alle Einzelpersonen der Paare vom Typus “zusammen (physisch und emotional)” bezeichneten ihre aktuelle Beziehung entweder als besser als die vorherigen Beziehungen, die jetzige Beziehung und die vorherigen als gut, aber verschieden oder aber als gut und gleich.
- Ein vergleichbares Bild zeigte sich bei den Paaren vom Typus “räumlich getrennt und emotional zusammen”. Alle bezeichneten hier ihre aktuelle Beziehung als besser oder ebenso gut, aber verschieden von ihren vorherigen Beziehungen.
- Paare des Typus “räumlich zusammen und emotional getrennt” bezeichneten ihre Beziehungen vorwiegend als schlechter als die vorherigen Beziehungen oder höchstens als gut, aber verschieden.
- Bei den Paaren des Typus “räumlich und emotional getrennt” wurden die Beziehungen als genau so schlecht wie die vorherigen Beziehungen, schlechter als die vorherigen Beziehungen oder höchstens als gut, aber verschieden eingestuft.
Insgesamt bewerteten Paare vom Typ 1 und 2 ihre Beziehungen bei weitem positiver als Paare von Typ 3 und 4, wobei beim Typus 4 auffällt, dass diese auch ihre vorherigen Beziehungen besonders kritisch bewerteten – offenbar im Sinne eines Musters, in Beziehungen keine emotionale Resonanz aufzubauen.
Was aber unterschied die vier Typen im Kern voneinander?
Das räumliche Zusammensein war nicht der entscheidende Faktor, denn dieses war auch beim Typ 2 nicht gegeben, wohl aber beim Typ 3. Was den Typen 3 und 4 tatsächlich fehlte war die emotionale Nähe.
Was war hierfür wiederum der entscheidende Faktor?
Nach meiner Einschätzung lag der entscheidende Faktor in der fehlenden Übereinstimmung der Bedürfnisse:
- Bei den beiden ersten Typen lag eine Übereinstimmung der Bedürfnisse der Beteiligten vor, während die beiden letzten Typen sich durch eine Bedürfnis-Dissonanz charakterisierten.
Gleichzeitig machen diese Befunde deutlich, dass der im Durchschnitt abnehmende Wunsch nach Zusammenleben bei älteren Partnersuchenden nicht zu dem Fehlschluss führen sollte, dass ein solches Zusammenleben im Alter nicht mehr erfolgversprechend wäre.
Bei Übereinstimmung der Bedürfnisse und bestehender emotionaler Nähe können ältere Menschen in ihren neuen Beziehungen mit und ohne räumliches Zusammenleben eine hohe Beziehungszufriedenheit erreichen.
Welches Modell präferiert wird, liegt an den Bedürfnissen der Beteiligten.
Deutlich wird im Übrigens durch die Analysen von Chaya Koren auch, dass der wachsende Wunsch nach Unabhängigkeit und Autonomie einem Zusammenleben nicht widersprechen muss:
Die zusammen lebenden Paare von Typ 1 schilderten, dass sie gerade die Unterschiedlichkeit als Bereicherung erlebten. Sie gaben sich also zwar wechselseitig Einblick in ihre innere Welt, ohne aber eine Symbiose im Sinne einer “Ich-Auflösung” anzustreben.
Zusammenleben und getrennt leben sind insofern beides erfolgversprechende Modelle einer Partnerschaftsgestaltung mit einer Wertschätzung für Autonomie.
Mit diesen Überlegungen konsistent sind wiederum die Ergebnisse einer qualitativen Interviewstudie von Sue Malta und Karen Farquharson mit 45 älteren Personen, die aktuell oder kürzlich in einer im späteren Lebensalter begonnenen Beziehung waren.
Nach diesen Befunden blicken ältere Partnersuchende auf ihr Leben zurück, sind um einige Erfahrungen reicher und von einigen Zwängen befreit und befinden sich auf der Suche nach sinnerfüllten Beziehungen, die sich durch ein hohes Maß an egalitärer Orientierung kennzeichnen; also Beziehungen, die allen Beteiligung einen Zugang zur Erfüllung ihrer Bedürfnisse geben sollen.
Dabei beobachteten die Autorinnen, dass relativ wenige dieser Beziehungen zu Ehebeziehungen wurden und dass das Modell der Beziehung mit getrennten Wohnungen eine starke Rolle spielte.
Das Streben nach Autonomie und eigenem Raum spiegelte sich jedoch keineswegs in Unverbindlichkeit wider, sondern gesucht (und großteils gefunden) wurden langfristige Beziehungen, die Bestand hatten und den Beteiligten sowohl Autonomie wie auch emotionale Nähe und Sicherheit gaben.
Resümee
Emotionale Nähe ist ein wichtiger Faktor in partnerschaftlichen Beziehungen, aber das Ausmaß des Bedürfnisses nach räumlicher Nähe oder temporärer Separierung kann sich zwischen einzelnen Personen stark unterscheiden.
Eine gleiche Person mag durchaus unterschiedliche Beziehungsmodelle mit variierender räumlicher Nähe leben können – dies erweitert Suchraum und Beziehungsmöglichkeiten. Aber es gibt ebenso Menschen, bei denen sehr hohe oder sehr niedrige Bedürfnisse nach räumlicher Nähe vorhanden sind.
Menschen unterscheiden sich im Ausmaß an Unabhängigkeit und Autonomie, welches sie in einer Beziehung anstreben. Dies ist nicht nur eine Frage von räumlicher Nähe. Unabhängigkeit kann in einer Beziehung mit einer gemeinsamen Wohnung gelebt werden und unter bestimmten Voraussetzungen (z.B. temporäre Situation) mögen auch starke Symbiose- und Gemeinsamkeitsbedürfnisse mit einer räumlichen Trennung vereinbar sein.
Mit wachsendem Alter nimmt vor dem Hintergrund der bisherigen Lebens- und Beziehungserfahrungen im Durchschnitt die Wertschätzung von Autonomie und Unabhängigkeit zu, formale Modelle der Bindung durch Eheschließung verlieren an Bedeutsamkeit und alternative Modelle des Zusammenseins, wie getrennte Wohnungen, gewinnen an Bedeutsamkeit.
Diese Trends sind bei Frauen teilweise stärker ausgeprägt als bei Männern, wohl auch weil vielfach zuvor jahrelang Geschlechterrollenerwartungen erfüllt wurden, von denen sich die Betreffenden nunmehr befreien möchten.
Es gibt aber keine altersbedingten Notwendigkeiten, sondern alles liegt letztlich an den Bedürfnissen, Erlebens- und Handlungsweisen der einzelnen Personen. So mögen jüngere Menschen sich durch das Modell der stärker auf Autonomie ausgerichteten neuen Beziehungen im höheren Lebensalter anregen lassen und bereits vor entsprechenden eigenen Erfahrungen zu einer freieren und die Autonomie stärker betonenden Beziehungsgestaltung gelangen.
Umgekehrt mögen ältere Menschen sich starker Bedürfnisse nach Symbiose und Gemeinschaft bewusst werden und dafür ein Stück weit zuvor aufgebaute oder durch Verlust (unfreiwillig) erworbene stärkere Eigenständigkeit aufgeben.
Sofern die Bedürfnisse in Balance sind, können Beziehungen mit geringem und mit hohem Anteil an symbiotischer Gemeinschaft funktionsfähig, glücklich und tragfähig sein.
Abschließend möchte ich die gute Nachricht, die die Forschungsbefunde so deutlich vermitteln, noch einmal in den Vordergrund stellen:
- In balancierten Beziehungen, die erst im höheren Lebensalter begonnen haben, ist oft ein sehr hohes Ausmaß an Zufriedenheit und Glück zu beobachten.
Wertvolle partnerschaftliche Beziehungen können lebenslang entstehen. Es gibt kein Alter, ab dem dies unmöglich wäre.