Online-Dating und toxische Beziehungen
Gelegentlich melden sich bei uns Mitglieder, die von toxischen Erfahrungen in der Kennenlernphase berichten, um nach Rat zu fragen, ihre emotionale Betroffenheit zum Ausdruck zu bringen oder andere vor einer ähnlichen Erfahrung zu warnen.
Was tun bei solchen Erfahrungen?
Ich greife die Schilderungen der Mitglieder in meinem heutigen Artikel auf. Im Artikel benenne ich Warnsignale, um toxische Muster im Verlauf der Partnersuche schnell zu erkennen und sich aus ihnen zu lösen.
In den zusammenfassenden Empfehlungen am Ende des Artikels werden alle Befunde komprimiert zusammengefasst. Ganz am Ende des Artikels weise ich noch auf eine aktuelle Umfrage zur Thematik hin, an der Sie sich gerne beteiligen können.
Mehr als körperliche Gewalt
In den Schilderungen der betreffenden Gleichklang-Mitglieder spielt das Thema der direkten körperlichen oder sexuellen Gewalt – eine Komponente toxischer Beziehungen – quasi keine Rolle.
Die Menschen, die sich hier versammeln, sind offenbar in großer Mehrheit so weit von körperlicher Gewalt entfernt, dass diese selbst bei toxischen Konstellationen nicht auftritt.
Worauf sich dieser Artikel daher fokussiert sind subtilere und dennoch toxische Beziehungsmuster mit Manipulation, Unehrlichkeit, ungünstigen Machtverhältnissen und emotionalem Missbrauch.
Der Artikel bezieht sich auf die Anfangsphase der Partnersuche, also bevor aus einem Kontakt bereits eine Partnerschaft mit wechselseitiger Bindungsentscheidung geworden ist.
Dieser Fokus hat zwei Gründe:
- Typischerweise sind die Warnzeichen für toxische Beziehungen bereits früh vorhanden. Die toxische Konstellation bestand bei genauem Blick meistens bereits bevor sie als solche erkannt und benannt wurde. Sie wurde anfangs überdeckt oder übersehen, ob durch illusionäre Ausblendung oder weil Menschen sich am Beginn von Beziehungen durchaus einige Zeit zusammenreißen mögen, bevor destruktive Strukturen durchbrechen.
- Toxische Beziehungen sind insofern auch das Ergebnis einer falschen Partnerwahl. Eine falsche Partnerwahl entsteht, wenn aus den Erfahrungen mit einem Menschen in der Kennenlernphase die falschen Schlüsse gezogen werden. Toxischen Signalen in der Kennenlernphase kommt damit eine sehr hohe Präventions-Bedeutung zu.
Positive Überflutung?
Manche Betroffene schildern eine anfängliche Überflutung mit positiver Aufmerksamkeit, Anerkennung und Selbstbestätigung, die sie in einen Zustand der Euphorie gebracht habe.
Erst im Anschluss seien die manipulativen, kontrollierenden, rücksichtslosen und egozentrischen Verhaltensweisen von werdenden Beziehungspartnern immer stärker in den Vordergrund getreten.
Allerdings möchte ich davor warnen, solch einen positiven Verlauf bereits von Anfang an – also bevor toxische Muster deutlich werden – unter Generalverdacht zu stellen:
- Auch Verliebtheit ist mit ekstatischen Momenten verbunden. Bei Verliebtheit steht das Positive absolut im Vordergrund. Sind Menschen verliebt, verhalten sie sich anders und geben viel Aufmerksamkeit und Anerkennung. Dies ist charakteristisch für den emotional-geistigen Zustand des Verliebtseins, der nach neuropsychologischen Untersuchungen im Gehirn mit Belohnungs- und Suchtstrukturen überlappt und der einer hypomanischen Steigerung von positiven Gefühlen entspricht. Dadurch resultierten positiv eingefärbte, selektive Situationswahrnehmungen, Bewertungen und Verhaltensweisen.
- Würden wir nun diese übersteigerte Zuwendung und Anerkennung allein als ein Signal für eine mögliche toxische Beziehung bewerten, würden wir das Verliebtsein insgesamt negativ bewerten, wofür es jedoch letztlich keinen Anhaltspunkt gibt. Es kann ohne Zweifel schiefgehen, aber viele Paare erinnern sich andererseits noch nach Jahrzehnten positiv an die Zeit des Verliebtseins. Verliebtheit kann Veränderungen ermöglichen, die sonst unmöglich erschienen wären. So kann Verliebtsein Menschen helfen, sich aus einschränkenden Strukturen zu befreien, neue Möglichkeiten zu erkennen und romantische Gefühle freizulegen. Sogar neue Lebensprioritäten mögen entstehen. Verliebtheit kann Potentiale in der eigenen Person sichtbar machen und ihnen zum Durchbruch verhelfen.
Ich schreibe hier so ausführlich über Verliebtheit, weil ich nach meinem letzten Artikel über toxische Beziehungen einige Zuschriften erhielt, die mich darauf hinwiesen, dass ich in dem Artikel die Phase der Kopfverdrehung oder Gehirnwäsche vergessen habe. In dieser Phase wendeten sich die später toxisch auftretenden Personen enorm zu und erzeugten dadurch eine emotionale Abhängigkeit, bevor sie quasi ihr wahres toxische Gesicht zeigten.
Was mir in diesen Zuschriften auffiel war, dass als Beispiele für diese initiale Phase Verhaltensweisen aufgezählt wurden, die geradezu lehrbuchhaft aus einer Schilderung des Verhaltens von Verliebten hätten entnommen werden können.
Ein weiterer Bereich, der in den Zuschriften angesprochen wurde, war eine schnelle Veränderung der Lebenssituation, wie Umzüge oder Berufswechsel, aufgrund derer die Betreffenden ihr soziales Umfeld und ihren typischen Halt verlören. Dies mag tatsächlich so sein, aber auch hier gibt es Gegenbeispiele, bei denen Menschen sehr früh in Liebesbeziehungen klare Entscheidungen trafen und damit glücklich wurden.
Deutlich machen möchte ich mit diesen Hinweisen:
- Wir sollten uns vor toxischen Beziehungen schützen.
- Wir sollten uns aber ebenfalls davor schützen, Beziehungen unter toxischen Generalverdacht zu stellen.
Verlaufstypen nach Verliebtheit
Liebe entwickelt sich weiter
Bei fortbestehenden, tragfähigen Beziehungen geht eine mögliche ekstatische Phase von Verliebtheit über in eine Phase der Beruhigung und Vertiefung, die sich kennzeichnet durch:
- zunehmende Vertrautheit und wechselseitige Kenntnis der anderen Person, einschließlich ihrer Schwächen
- erfolgreiche Klärung von Irritationen und Kompromissfindung
- Bindungs-Entscheidung für die Fortführung und Weiterentwicklung der Beziehung
Liebe geht zu Ende
Der Übergang in eine feste Beziehung geschieht nicht immer, sondern manche Verbindungen lösen sich nach der Verliebtheit wieder auf:
- Passt es doch nicht, treten Desillusionierungen, wachsende Zweifel an der Beziehung, widerstreitende Erwartungen, unerfüllte Wünsche, Unzufriedenheit oder Konflikte auf und dies kann schließlich zur Beendigung der Beziehung führen.
Solche Trennungen nach Verliebtsein sind zwar unbefriedigend und schmerzhaft, aber sie sind nicht in sich toxisch, sondern ein ganz “normaler” Prozess. Es zeigt sich nun eben, dass zwei Personen, die ursprünglich voneinander angezogen waren, doch nicht für ein dauerhaftes Zusammensein miteinander geeignet sind.
Liebe wird toxisch
Toxisch wird eine Beziehungs-Konstellation, wenn sich der Honeymoon aus intensiver Anziehung in eine anhaltende destruktive Konstellation verwandelt, in der der positive Bezug ersetzt wird durch Manipulation, emotionalen Missbrauch oder Gewalt.
Die toxische Konstellation zeigt ihren toxischen Charakter auch in diesem Fortbestehen, anstatt sich durch Trennung aufzulösen.
Solche toxischen Beziehungen können übrigens auch ohne vorherige Verliebtheit entstehen, meistens wird die andere Person aber mindestens zunächst als sehr beeindruckend erlebt.
Toxizität als Wechselhaftigkeit
Auf einen weiteren Aspekt möchte ich hinweisen:
- Toxische Beziehungen beruhen letztlich – wie alle Beziehungen – auf Wechselseitigkeit.
Studien zu Beziehungsgewalt zeigen ein komplexes Bild von häuslicher Gewalt mit unterschiedlichen Subtypen, die von gewalttätigen und kontrollierenden Einzeltäter:innen, über beidseitige Gewalt mit einer sich vorwiegend verteidigenden Person, situationale Gewalt bis hin zu wechselseitiger Gewalt mit kontrollierenden Tendenzen auf beiden Seiten reicht.
Der am meisten diskutierte Fall, wo es eine Täterseite und eine Opferseite gibt, ist also keineswegs der einzig mögliche Fall. Selbst wenn Kontrolle und Gewalt eindeutig von einer Seite ausgehen, zeigen sich bei genauerer Betrachtung Beiträge von beiden Seiten:
- Was die eine Seite an Aggressivität, Manipulation und externer Kontrolle aus-agiert, macht die andere Seite oft durch Hinnahme und mangelnde Abgrenzung möglich – wodurch die toxische Konstellation fortbestehen kann.
Es ist wichtig, diese Dynamik zu kennen und zu benennen, denn nur, wenn wir sie kennen, können wir uns ihr entziehen.
Manchmal steht im Hintergrund einer toxischen Verbindung auch die Verweigerung der bitteren Wahrheit, dass wir Menschen nicht zwingen können, uns zu lieben oder uns so zu lieben, wie wir dies wünschen:
- So sehr sich jemand womöglich eine Beziehung mit wechselseitiger Treue, Fürsorge und Aufrichtigkeit wünschen mag, so wenig mag dieser innige Wunsch die Tatsache ändern, dass eine andere Person womöglich zu einer solchen Beziehung nicht bereit oder fähig ist.
Die nicht-toxische Lösung besteht darin, aufrichtig miteinander zu sein und entweder ein von beiden Seiten mit gutem Gefühl umsetzbares Modell zu finden oder aber auseinanderzugehen. Toxisch wird eine Beziehung bei so einem Grundkonflikt erst dann, wenn die Betreffenden beginnen, Dinge vorzuspielen oder zu erzwingen.
Eigenschutz aufbauen
Wenn wir uns vor toxischen Beziehungen schützen wollen, geht es also nicht nur darum, uns vor anderen zu schützen, sondern es geht auch darum, uns selbst davor zu bewahren, Toxizität hinzunehmen oder selbst Muster zu zeigen, die toxisch sind.
Ein wichtiger Aspekt ist es, dass wir darauf achten, keine Erwartungen an andere heranzutragen, die diese nicht erfüllen können oder wollen. Ein ehrlicher Austausch ist notwendig und wir sollten weder die Augen vor der Wirklichkeit verschließen, noch versuchen, auf Druck oder Zwang zurückzugreifen.
Es geht bei der Partnersuche darum, einen Menschen kennenzulernen, der zu den eigenen Bedürfnissen und Beziehungsvorstellungen passt. Hierzu gehört es ebenfalls, zu erkennen und zu akzeptieren, wenn ein Mensch nicht passt.
Diese Suche bei uns selbst – nach uns gefährdenden Anteilen – ist wichtig, weil es unser ureigenes Interesse ist, künftig toxische Konstellationen zu vermeiden. Dies können nur wir selbst tun. Wir können andere Menschen nicht kontrollieren, können jedoch darauf achten, toxische Konstellationen von uns aus gar nicht mehr zulassen.
Natürlich ist dies leichter gesagt als getan, einerseits aus emotionalen Gründen, andererseits auch deshalb, weil durchaus nicht immer sofort klar sein mag, was bereits toxisch und was noch ein klärbarer Konflikt ist.
Wann ist eine Beziehung toxisch?
Übervorsichtigkeit vermeiden
Die Sorge vor einer toxischen Beziehung sollte nicht dazu führen, dass wir Beziehungen verlassen, wenn die ersten Konfliktzeichen sichtbar werden. Wir sollten aus Angst vor einer toxischen Beziehung Konflikte weder unnötig eskalieren noch sie vermeiden.
Für das Entstehen und die Aufrechterhaltung einer liebevollen Beziehung ist es ebenfalls nicht hilfreich, wenn wir aus Angst unsere Fürsorge abziehen, zu stark kompensatorisch (aus Furcht, ausgenutzt zu werden) nur die eigenen Bedürfnisse artikulieren, zu Bestrafung durch Liebesentzug greifen, Menschen nicht mehr an uns heranlassen oder allzu schnell anderen negative Motive, einen Unwillen oder eine Beziehungsunfähigkeit unterstellen.
Es gibt Menschen, die (sicherlich aufgrund von bitterer Erfahrung) so starke negative automatisierte Bewertungen haben, dass sie bereits in kleineren Konfliktsignalen das Stopp-Signal sehen.
Dies mag in den jeweiligen Einzelfällen durchaus als Selbstschutzmechanismus nachvollziehbar sein, aber das Ergebnis ist, dass die Betreffenden mit hoher Wahrscheinlichkeit Single bleiben werden – schließlich gibt es kaum eine stabile und glückliche Beziehung, die in der Vergangenheit keine Konflikte oder sogar keine tiefgreifenden Konflikte erlebte.
Genau hinschauen
- Wie erkenne ich tatsächliche Toxizität in einer Beziehung und wie kann ich sie von zu klärenden Konflikte unterscheiden?
- Was ist noch ein gesunder Kompromiss und wo beginnt die Zurückstellung eigener Bedürfnisse und die Selbstverbiegung?
- Wo stelle ich realistische und berechtigte Erwartungen und wo trage ich Erwartungen an die andere Person heran, die diese nicht erfüllen kann oder will?
- Wann hilft Beziehungsarbeit und wann ist der Zeitpunkt gekommen, wo ein Schlussstrich gezogen werden sollte?
- Wo ist die Grenze zwischen Akzeptanz, Verzeihen und Selbstschädigung?
Glücklicherweise lassen sich diese Fragen letztlich recht präzise beantworten, wenn Sie sich die folgenden, miteinander verbundenen Grundpostulate zu Herzen nehmen und sich von ihnen leiten lassen:
- Toxisch ist eine Beziehung, wenn ein bestehender grundlegender, also das Beziehungserleben prägender Konflikt nicht klärbar ist.
- Nicht klärbar ist ein Konflikt, wenn keine Lösung erzielt werden kann, die für beide Seiten in der Gesamtbewertung mit einem guten Gefühl verbunden ist.
- Eine solche Lösung kann nicht erzielt werden, wenn kein wirklich offenes, von beiden Seiten mit Klärungsbereitschaft und Authentizität geprägtes Gespräch über die Probleme geführt werden kann.
- Ebenso kann eine solche Lösung nicht erzielt werden, wenn eine oder beide Seiten immer wieder und anhaltend in das gleiche Muster zurückfallen, ohne dabei Selbstreflexion und Selbstkorrektur zu zeigen.
- Ein Schlusspunkt sollte gezogen werden, wenn deutlich wird, dass eine Lösung nicht erzielt werden kann.
- Dies wird endgültig deutlich, wenn keine realistischen Ansätze auf echtes wechselseitiges Verstehen und Annahme mehr erkennbar sind.
- Akzeptanz und Verzeihen erreichen ihre Grenze, wenn Sie feststellen, dass Sie mit der Beziehungskonstellation ohne Anzeichen von Verbesserungsmöglichkeiten unglücklich sind und bleiben.
Damit wird auch klar, wann eine Beziehung nicht toxisch ist:
- Streitigkeiten und Unstimmigkeiten liegen vor, die aber miteinander besprechbar und klärbar sind.
- Den Konflikten stehen wichtigere positive Erlebensbereiche in der Beziehung gegenüber.
- Kompromisse können gefunden werden, die womöglich nicht für beide ideal, aber doch akzeptabel sind.
- Es sind nur temporäre Schwankungen oder Einbrüche, die die Beziehung nicht prägen.
- Es gibt tatsächlich in einigen Bereichen nicht lösbare Differenzen, die aber durch positives Beziehungserleben aufgewogen werden.
- Problemverhalten wird wechselseitig als solches anerkannt und eine authentische Veränderungs- und Einstellungsbereitschaft ist beidseits vorhanden.
- Die Sympathie oder Liebe des jeweils anderen ist wechselseitig spürbar.
- Abgesehen von Detailbereichen stimmen die grundlegenden Ideen und Modelle von Beziehungsgestaltung überein oder beide können mit gutem Gefühl aufeinander zugehen.
- Gefühl und Verstand sagen nach wie vor Ja zur Beziehung.
- Es ist bereits eine Entwicklung zum Positiven eingetreten.
Partnerwahl und toxische Beziehungen
Ich komme nun zum Ausgangspunkt meines Artikels zurück, nämlich der Beobachtung, dass toxische Strukturen oftmals bereits früh beginnen:
Früherkennung toxischer Strukturen während des Kennenlernens
Normale Irritationen
Erneut ist es wichtig, zu differenzieren und zwar zwischen Irritationen und Anzeichen für toxische Muster:
- Gerade in der Phase des Überganges von einem Dating-Kontakt zu einer Beziehung können nämlich nach vorliegenden Untersuchungen verstärkt Irritationen auftreten. Ihre erfolgreiche Bewältigung kann den Zusammenhalt erhöhen und die Basis für Bindung, Gemeinsamkeit und Partnerglück schaffen – mein Blogartikel am nächsten Sonntag wird von dieser Thematik handeln.
Zu solchen Irritationen gehört durchaus, dass neue und manchmal auch unerwünschte Aspekte einer Person sichtbar werden und dass bei beginnender Vertrautheit unterschiedliche Lebensweisen (die es trotz aller Gemeinsamkeit immer geben wird) zunächst als störend erlebt werden können, bevor sie schließlich in einer neue Zweisamkeit integriert werden.
Achten Sie darauf, solche normalen Irritationen nicht mit toxischen Mustern zu verwechseln, sondern ihre Bewältigung und Auflösung als aktiven Klärungsprozess zu sehen, der dazu beiträgt, eine gute Beziehungsbasis zu schaffen.
Echte Toxizität
Aber nicht jede Irritation ist lösbar und manche Irritationen sind tatsächlich Frühwarnzeichen für eine entstehende toxische Konstellation.
Dies ist eine Auflistung von Frühwarnzeichen, die ich aus den Schilderungen von betroffenen Mitgliedern, die sich an uns wandten, abgeleitet habe :
- Sie stellen fest, dass potenzielle Beziehungspartner:innen Sie dominieren wollen.
- Sie haben den Eindruck, sich permanent rechtfertigen zu müssen, ohne dass die andere Person selbstkritisch ist.
- Sie sollen in ein Überzeugungssystem hineingebracht werden, welches Sie dezidiert nicht wollen.
- Nur die Ansichten und Interpretationen der anderen Person werden von dieser als gültig akzeptiert.
- Potentielle Partner:innen treten Ihnen gegenüber als Helfer:innen oder Therapeut:innen auf, die besser als Sie selbst wissen, was gut für Sie ist.
- Sie fühlen sich weniger in einer beginnenden Beziehung als in einem Erziehungsprogramm.
- Sie stellen einen durchgreifenden Mangel an Perspektivenübernahme und Wechselseitigkeit fest.
- Ihre Sichtweise wird kaum zur Kenntnis genommen, als ob es Sie nicht gäbe.
- Ihre Selbstvertrauen wird untergraben, indem Ihnen verdeutlicht wird, dass Sie sowieso keinen Durchblick hätten.
- Sie werden zu grundlegenden Lebensveränderungen gedrängt, ohne dass dies ihrem eigenen Wunsch entspricht und bei Ausblendung möglicher negativer Folgen für Sie.
- Auf Widerspruch wird ignorierend, harsch, lächerlich machend oder aggressiv reagiert, dies nicht temporär oder in einzelnen Situationen, sondern als durchgehendes Muster.
- Körperliche Nähe oder Sexualität wird von der anderen Person einseitig und nur auf die eigenen Bedürfnisse bezogen gewollt oder verlangt.
- Es wird bei Widerspruch mit Kontaktabbruch gedroht oder sofort das weitere Beziehungsinteresse infrage gestellt, sodass Sie Furcht davor entsteht, sich zu äußern.
- Sie erkennen frühe Ansätze von Stalking-Verhalten und Bedrängen, die andere Person erscheint ungewollt, erwartet permanente Verfügbarkeit und behält dies Muster trotz Thematisierung bei.
- Sie fühlen sich durch die andere Person von ihren sozialen Kontakte isoliert oder die andere Person mischt sich umgekehrt übermäßig stark ein, ohne Ihre Bedürfnisse zu erfragen.
- Sie beobachten ein Muster aus Unehrlichkeit, Halbwahrheiten oder Intransparenz, welches nicht aufklärbar ist und sich fortsetzt.
All diesen Anzeichen gemeinsam ist ein fundamentaler Mangel an Balance (siehe auch meinen vorherigen Artikel “Beziehung braucht Balance”).
Solche Zeichen können bereits während des reinen Online-Kontaktes auftreten, meistens werden sie aber erst nach ersten Begegnungen oder während des beginnenden Beziehungsaufbaus beobachtet.
Richtig reagieren
Diejenigen, die sich an uns wandten, haben in großer Mehrheit sich letztlich für klare Abgrenzung und eine Beendigung des Kontaktes entschieden.
Dabei ließ sich folgende Bewältigung erkennen:
- Je stärker das initial positive Erleben und desto länger der Kontakt bereits andauerte, desto emotional belastender wurde die Situation verarbeitet und desto schwerer fiel es den Betroffenen, sich auch innerlich abzugrenzen, freizumachen und sich wieder in positiver Grundorientierung auf die Partnerfindung auszurichten.
- Dennoch hat die Mehrheit die Verarbeitung geschafft und nur wenige gaben die Partnersuche auf.
Natürlich sind uns ebenfalls Fälle bekannt – auch aus unseren Umfragen – wo zwei Menschen nach massiver Irritation wieder zueinander gefunden haben. Beispiele in länger andauernden Beziehungen hierfür schilderte ich in meinem vorherigen Artikel zum Zusammenhang von Liebe und Hass.
Allerdings erinnere ich mich an keinen Fall einer solchen positiven Wende, wo das toxische Muster zuvor tatsächlich eindeutig zutraf. Dies liegt sicherlich auch bereits definitionsgemäß daran, dass eine Einordnung von Irritationen als Ausdruck einer toxischen Beziehung nur dann überhaupt stattfinden sollte, wenn sich eine Unveränderlichkeit aufgrund von mangelnder Offenheit, fehlender Selbstreflexion, nicht gegebener Bereitschaft oder fehlendem Interesse zeigen.
Ich kann Betroffene nur ermutigen, sich bei toxischer Konstellation klar abzugrenzen:
- Werden toxische Muster in der Phase der Partnerfindung erkennbar, macht es wenig Sinn, trotzdem an der Möglichkeit einer entstehenden Beziehung festzuhalten. Meistens dürfte ein solcher Versuch im Gegenteil schädlich sein, zu mehr seelischem Schmerz, einer später noch schwerer fallenden Abgrenzung oder sogar einer anhaltenden toxischen Beziehung führen.
Machen Sie es sich daher bitte zum Maßstab, Ihren Wunsch nach Beziehung nicht zum Anlass zu nehmen, wegzuschauen, wenn toxische Konstellationen beginnen.
Persönlichkeitsbezogene Aspekte
Toxische Muster in Beziehungen hängen auch mit Persönlichkeits-Merkmalen zusammen:
- Narzisstische Strukturen bedingen Egozentrismus, die Ausblendung eigener Anteile an Problemen, Empathiedefizite, sowie die Reaktion mit Gekränktheit und Neid auf kritische Auseinandersetzung oder den Erfolg anderer bei eigenem Misserfolg.
- Machiavellistische Strukturen fördern Strategien der manipulativen Kontrolle und Machtausübung, die sowohl klar sichtbare, manifeste als auch latente und subtile Formen annehmen können.
- Impulsive Strukturen können bei Konflikten aufgrund des Mangels an Selbststeuerung verbale oder körperliche Gewalt sowie Unsicherheit oder Wechselhaftigkeit des Bindungsverhaltens begünstigen.
- Paranoide Strukturen gehen mit Misstrauen, Eifersucht, Verschwörungsdenken, und – wie auch narzisstische Strukturen – mit einem hohen Ausmaß an Egozentrismus einher.
Solche persönlichkeitsbezogenen Ansätze sind sicherlich individualdiagnostisch interessant, aber Sie geben uns für den Zweck dieses Artikels jedenfalls zunächst wenig zusätzliche Informationen.
Viel wichtiger als die Frage, welche Persönlichkeitsstruktur womöglich hinter welchem Verhalten steckt, ist die Feststellung, ob eine toxische Konstellation vorliegt oder nicht vorliegt und ob Beziehungsarbeit oder Abgrenzung notwendig sind.
Was hilft es Ihnen, wenn Sie der anderen Person eine bestimmte Persönlichkeitsstruktur zuweisen?
Womöglich können Sie so die Person tatsächlich besser verstehen, nur wird dies Verstehen Ihrerseits an der Grundproblematik wenig ändern.
Zudem besteht die Möglichkeit, dass Sie der anderen Person diese Persönlichkeitsstrukturen fälschlicherweise zuweisen und dies mag eine in Wirklichkeit sehr wohl mögliche Klärung erschweren und dadurch eine Beziehung schädigen, die es durchaus wert gewesen wäre, an ihr zu arbeiten.
Schließlich glaube ich, dass tatsächlich jede Form von Persönlichkeitsstruktur zu einer toxischen Konstellation beitragen kann:
- Ängstlich-abhängige Menschen, die mit Klammern Partner:innen keine Luft zum Atmen lassen.
- Zwanghafte Personen, die ihre Partner:innen in ein rigides System der Alltagsgestaltung hineinzwingen.
- Bindungsvermeidende Personen, die auf Annäherung und Konflikt mit Distanz und Rückzug reagieren.
- Passiv-aggressive Personen, die ihren Anteil an Vereinbarungen, Plänen und Arbeiten nicht leisten, sodass Beziehungsprojekte scheitern …
Die Liste ließe sich fortsetzen.
Grundsätzlich – jedenfalls in einem breiten Rahmen – können Menschen mit unterschiedlichen Persönlichkeits-Strukturen sehr wohl sich auf Beziehungen einstellen und ihre Eigenarten regulieren. Toxisches Beziehungsverhalten ist nicht zwangsläufige Folge einer bestimmten Persönlichkeitsstruktur, womit ich nicht leugne, dass Persönlichkeitsbesonderheiten im Einzelfall das Ausmaß einer schweren, die Beziehungsfähigkeit beeinträchtigenden und behandlungsbedürftigen Persönlichkeitsstörung annehmen können.
Umgekehrt kann eine Reflexion der eigenen Persönlichkeit helfen, Beziehungen zu “entgiften”:
- Die ängstliche Person, die ihre extremen Verlustängste als ein zu bewältigenden Problem erkennt, kann die Gründe für ihr Klammern darlegen, dadurch auf Verständnis stoßen, was dann ein Ausweg sein kann, wenn sie gleichzeitig bereit ist, schrittweise an der Aufgabe ihres klammernden Verhaltens zu arbeiten.
- Ebenso ist es grundsätzlich auch narzisstischen Personen möglich, zu erkennen, wie sehr sie Bestätigung für ihren Selbstwert benötigen, ihre Kränkbarkeit anzunehmen und an Perspektivenübernahme zu arbeiten. Die Benennung des Problems und die Bereitschaft, hieran zu arbeiten, kann eine Wende ermöglichen.
Allerdings setzt dies bereits ein recht hohes Ausmaß an Selbstreflexion voraus und im Grunde liegen die Signale für toxische Beziehungen bei einem so hohen Ausmaß an Selbstreflexion und Veränderungsbereitschaft gar nicht vor.
Persönlichkeitsstrukturen können sich übrigens über die Zeit verändern. Der Gedanke einer quasi lebenslangen Stabilität ist jedenfalls im absoluten Sinne längst widerlegt. So zeigen sich in Metaanalysen beispielsweise ausgeprägte Veränderungen von Persönlichkeitsmerkmalen mit wachsendem Alter.
Trotzdem ist nachdrücklich davon abzuraten, nur mit der vagen Hoffnung auf künftige Veränderung im Prozess der Partnerfindung an einer toxischen Konstellation festzuhalten. Ebenso sollten Sie sich davor hüten, die Rolle von Therapeut:innen zu übernehmen, was sich selbst toxisch auswirken kann.
Werden Sie bei der Partnerfindung mit einer toxischen Konstellation konfrontiert, sollte dies vielmehr Anlass sein, sich abzugrenzen und die Suche auf andere, besser als Beziehungspartner:innen geeignete Personen auszurichten.
Hilfreich kann der persönlichkeitsbezogene Ansatz aber sein, wenn Sie sich womöglich selbst in dem einen oder anderen Persönlichkeitsmerkmal erkennen und einen Bezug zum eigenen Beziehungsverhalten herstellen können. In diesem Fall kann es Ihnen helfen, diese Zusammenhänge zu reflektieren und hieraus für Ihr künftiges Verhalten in Beziehungen konstruktive Handlungsmuster abzuleiten.
Resümee
Zusammenfassende Empfehlungen
Damit gelange ich auch bereits zur Zusammenfassung und den abschließenden Empfehlungen:
- Toxische Konstellationen in Beziehungen kennzeichnen sich durch ihren überdauernden Charakter sowie einen Mangel an Klärbarkeit, Perspektivenübernahme und Veränderung. Sie können bereits früh während der Beziehungsfindung eintreten, manchmal sogar bereits beim Online-Kontakt, meistens aber erst im Verlauf der ersten Begegnungen oder noch häufiger in der Phase des beginnenden Beziehungsaufbaus.
- Oftmals geht toxischen Konstellationen eine positive Phase mit viel Aufmerksamkeitszuwendung, Anerkennung und Bestätigung voraus, wobei sich diese positive Phase aber kaum von dem typischen Verhalten von verliebten Menschen unterscheiden lässt und daher für sich genommen kein Frühwarnzeichen ist.
- Von einer toxischen Konstellation zu unterscheiden sind Irritationen oder Konflikte, die typischerweise während der Beziehungsfindung auftreten und sich in der Übergangsphase vom Kennenlernen zur Beziehung sogar verstärken können. Der entscheidende Unterschied zu einer toxischen Konstellation ist hier, dass Perspektivenübernahme sowie eine beidseitige Bereitschaft zur Klärung deutlich werden.
- Gegen einen toxischen Charakter bestehender Irritationen sprechen zusammenfassend ihre Ansprechbarkeit, ihre Einbettung in eine insgesamt positive Beziehungskonstellation, die Möglichkeit von beiden Seiten als akzeptabel erlebter Kompromisse, das Fehlen eines überdauernden Musters, die wechselseitige Anerkennung von Problemen, die Übereinstimmung in den grundlegenden Beziehungsmodellen, die spürbare Bejahung der Beziehung mit Verstand und Gefühl, das Erleben wechselseitiger Liebe, sowie eine erkennbare Entwicklung zum Positiven.
- Eine toxische Beziehungs-Konstellation liegt wahrscheinlich vor oder ist am Entstehen, wenn Sie (ggf. nach einer positiven Phase) feststellen, dass die andere Person Sie deutlich dominieren will, Sie in permanenten Rechtfertigungsdruck geraten, in ein Überzeugungssystem gebracht werden sollen, nur die Ansichten der anderen Person als gültig akzeptiert werden oder die andere Person mehr (ungefragt) als Helfer:in oder Therapeut:in auftritt denn als Partner:in, sodass Sie sich eher in einem Erziehungsprogramm als in einer werdenden Beziehung fühlen.
- Die Wahrscheinlichkeit einer toxischen Konstellation wächst, wenn Ihre eigene Sichtweise kaum zur Kenntnis genommen wird, ihr Selbstwertgefühl untergraben wird und die andere Person einen durchgreifenden Mangel an Perspektivenübernahme zeigt. In diesem Kontext ist es ein besonderes Warnsignal, wenn Sie zu grundlegenden Lebensveränderungen gedrängt, von Ihrem sozialen Umfeld isoliert werden, oder wenn sich die andere Person ohne ihren Wunsch übermäßig in ihr soziales Umfeld einmischt. Unehrlichkeit und mangelnde Transparenz sowie mögliche überdauernde Tendenzen zu ignorierenden, harschen, lächerlich machenden, drohenden oder aggressiven Reaktionen verstärken das Bild. Eine rote Flagge sind zudem frühe Ansätze von Stalking-Verhalten und Bedrängen, wo die andere Person durch Sie ungewollt erscheint, permanente Verfügbarkeit erwartet und dies Verhalten trotz Thematisierung beibehält.
- Stellen Sie während der Partnerfindung fest, dass toxische Beziehungs-Merkmale gegeben sind, sollten Sie dies sofort deutlich thematisieren. Ergibt sich keine überzeugende und anhaltende Veränderung, lautet der Rat, sich klar abzugrenzen, den Kontakt zu beenden und die Partnerfindung auf besser geeignete andere Personen auszurichten.
- Bei betroffenen Mitgliedern von Gleichklang, die sich an uns wandten, zeigte sich, dass Abgrenzung und Kontaktbeendigung umso belastender waren, desto stärker das initial positive Erleben war und desto länger der Kontakt bereits andauerte. Es gelang aber der Mehrheit, sich letztlich innerlich wieder freizumachen und die Partnersuche auf andere Personen auszurichten. Wird während der Partnerfindung an einer toxischen Konstellation festgehalten, droht die Gefahr einer Verfestigung bis hin zu einer langjährigen toxischen Beziehung, die mit weitaus mehr seelischen Schmerzen verbunden sein wird, als wenn die Abgrenzung rechtzeitig stattfindet.
- Persönlichkeitsbezogene Betrachtungsweisen sind letztlich nur eingeschränkt hilfreich, um sich vor toxischen Konstellationen zu schützen. Nehmen Sie aber bei sich selbst überdauernde Muster zu toxischem Beziehungsverhalten wahr oder eine Neigung, sich auf toxische Konstellationen einzulassen, kann eine selbstreflexive Analyse dieser Verhaltensmuster dazu beitragen, konstruktive Handlungsmuster für ihr künftiges Verhalten in Beziehungen abzuleiten. Sie können sich rechtzeitig Stopp-Signale setzen, wenn Sie selbst toxische Verhaltensweisen zeigen oder umgekehrt beginnen, sich erneut auf toxische Konstellationen einzulassen.
Als Gleichklang-Mitglied können Sie sich übrigens jederzeit an uns wenden, wenn Sie sich in einer schwierigen Konstellation befinden und nach Rat im Sinne einer externen Sicht fragen. Dies ist im Mitglieder-Beitrag bereits eingeschlossen und Sie können Ihr Anliegen am besten über dieses Formular schildern.
Umfrage sucht Teilnehmende!
Freuen würden wir uns, wenn Sie sich an der laufenden Umfrage zum Beziehungserleben in einer aktuellen oder einer vergangenen Beziehung beteiligen würden:
- Teilnehmende werden gebeten, Ihre Beziehungserfahrung zu schildern und einige Fragen dazu durch Ankreuzen zu beantworten. Es kann sich um positive, negative oder toxische Erfahrungen handeln.
- Auf der Grundlage der Auswertung dieser Umfrage werden wir einen Fragebogen entwickeln, der es Ihnen ermöglichen soll, Ihre eigenen Eindrücke jederzeit zu objektivieren. So werden Sie jederzeit leichter Klarheit gewinnen können, ob eine toxische Entwicklung Ihrer Beziehung oder Beziehungsfindung droht oder Sie sich auf einem guten Weg zu einer wechselseitigen und tragfähigen Partnerschaft befinden. Ich werde über die Ergebnisse mit Link zum Test auch hier im Blog berichten.
- An der Umfrage können sich Mitglieder und Nicht-Mitglieder beteiligen. Die Umfrage dauert ca. 10 Minuten. Vielen Dank für Ihre Teilnahme: ▶ Hier zur Umfrage!