Letzte Woche schrieb ich über den vermeidenden Bindungsstil, für welchen wir auch im Gleichklang-Testportal einen psychologischen Selbsttest zur Verfügung stellen.
In diesem Artikel geht es nun um das Gegenteil – nämlich den ängstlich-abhängigen Bindungsstil. Auch hierfür können Sie im Gleichklang-Testportal einen Selbsttest ausführen.
Zunächst erkläre ich die Merkmale des ängstlich-abhängigen Bindungsstils, um sodann die Auswirkungen auf Partnersuche, Beziehungsaufbau, Beziehungsgestaltung und Lebenszufriedenheit zu erläutern.
Anschließend stelle ich dar, wie Sie einen ängstlich-abhängigen Bindungsstil überwinden und so ihre Beziehungszufriedenheit und ihre Lebenszufriedenheit verbessern können.
Die Zeit der Partnersuche ist eine gute Zeit, um über den eigenen Bindungsstil zu reflektieren. Denn so können Sie verhindern, dass sich womöglich alte Muster wiederholen, die Ihnen und Ihrer Beziehung bereits in der Vergangenheit nicht gutgetan haben.
Auf diese Weise können Sie die Zeit der Partnersuche nutzen, um an einer Veränderung möglicherweise ungünstiger Bindungsmuster zu arbeiten und auf dieser Grundlage einen sicheren und stabilen Beziehungsstart erreichen.
Außerdem läuft derzeit übrigens eine aktuelle Gleichklang-Umfrage “Warum bin ich Single“, die 10-1 5 Minuten benötigt. Das Ausfüllen kann Anlass zu Selbstreflektion geben und die Ergebnisse werden wir ausführlich ausführlich hier im Blog darstellen: ⇒ Hier zur Umfrage “Warum bin ich Single?”
Was ist ängstlich-abhängige Bindung?
Erinnern wir uns:
- der vermeidende Bindungsstil legt sehr großen Wert auf Unabhängigkeit und Distanz, Beziehung wird sehr schnell als Einengung erlebt.
Beim ängstlich-abhängigen Bindungsstil ist es genau umgekehrt:
- Menschen mit diesem Bindungsstil haben ein starkes, ja überaus starkes Bedürfnis nach Nähe.
- auf jede Form von Eigenständigkeit eines Beziehungspartners oder temporäre Distanz reagieren sie mit Angst, Sorgen und Verletztheit. Sie fürchten, dass der Partner sich entferne, sie nicht so liebe, wie sie ihn lieben, sich für andere interessiere.
- sie fühlen sich schnell nicht ausreichend emotional angenommen, beachtet und wertgeschätzt. Verlassensangst löst oft Kontrolle und Eifersucht aus.
- Auseinandersetzungen, Streit und Konflikte können die Folge sein.
Das Bindungssystem von Menschen mit ängstlich-abhängigem Bindungsstil ist also hyperaktiviert, während es bei Menschen mit Bindungsvermeidung herunterreguliert ist.
Menschen mit ängstlich-abhängigen Liebesstil können nur schwer mit Distanz in einer Beziehung umgehen, sie möchten Nähe um jeden Preis gewährleisten oder sogar erzwingen.
Alles, was die Sicherheit einer Beziehung scheinbar infrage stellt, führt sofort zum Alarm und wird hoch dramatisch und katastrophisierend verarbeitet.
Selbst kleinste Ereignisse, wie ein Partner, der sich kurz in sein Zimmer zurückzieht, können Verlassensangst erzeugen.
Bei ausgeprägt ängstlich-abhängigem Bindungsstil wird nach ständiger Bestätigung durch den Partner, permanenter Nähe und häufigen Liebesbekundungen gesucht.
Dabei kann es sogar zu grenzüberschreitendem Verhalten kommen, um die Nähe des Partners zu gewährleisten.
Auswirkungen auf das seelische Gleichgewicht
So sehr temporäre Nähe bei Menschen mit ängstlich-abhängiger Bindung zur Beruhigung führt, so schnell lässt jede Form von Eigenständigkeit des Partners Angst, Sorge, Unruhe oder Eifersucht entstehen.
Es kommt zu einer emotionalen Berg- und Talfahrt, die das seelische Gleichgewicht beeinträchtigt. Unzufriedenheit, Labilität, depressive Entwicklungen und Angststörungen können die Folge sein.
Andere Lebensziele werden vernachlässigt, die Eigenständigkeit kann verloren gehen, der Alltag engt sich ein auf den ständigen Kampf zur Befriedigung des Nähe-Wunsches und zur Verhinderung von Distanzierung und Verlust. Glücklich macht dies nicht.
Auswirkungen auf die Beziehung
Der nicht ängstlich-abhängige Beziehungspartner wird ebenfalls beeinträchtigt. Er mag sich eingeengt und unfrei fühlen. Die ständige Forderung nach Nähe, Aufmerksamkeitszuweisung, Liebesbeweisen mag als Überforderung und störend erlebt werden. Dies gilt umso mehr, als dass Konflikte schnell eskalieren können oder immer wieder Schuldgefühle erzeugt werden.
In Extremfällen stehen paradoxe Trennungsdrohungen bis hin zu Suiziddrohungen im Raum.
Obwohl eigentlich der Partnerverlust die größte Angst des ängstlich-abhängigen Beziehungspartners ist, mag genau dieser Partnerverlust die Folge sein:
- der Beziehungspartner distanziert sich oder beendet die Beziehung.
Erfolgt demgegenüber weder eine Veränderung noch eine Trennung, werden solche Beziehungen oft für beide Seiten zur Dauerbelastung und die wechselseitige Beziehungs- und Lebenszufriedenheit sinkt.
Auswirkungen auf die Partnersuche
In zweierlei Art und Weise kann ein ängstlich-abhängiger Bindungsstil die Partnersuche ungünstig beeinflussen:
- aufgrund negativer Vorerfahrungen entsteht Beziehungsangst, die sich aus der Befürchtung begründet, durch eine Partnerschaft erneut einer emotional überfordernden Berg- und Talfahrt ausgesetzt zu werden. Ist der ängstlich-abhängige Bindungsstil stark ausgeprägt, ist diese Befürchtung berechtigt. Schnell kann das Entstehen einer Beziehung erneut Verlustängste aktivieren und eine Hyperaktivität des Bindungssystems aufrufen, die sowohl das eigene seelische Gleichgewicht wie auch die Beziehung beschädigen kann.
- manchmal kann bereits in der frühen Phase von Kennenlernen und Beziehungsaufbau ein ängstlich-abhängiger Bindungsstil vom Partner wahrgenommen werden. Gerade wenn bereits Erfahrungen aus der Vergangenheit mit Beziehungspartnern mit abhängig-ängstlichem Bindungsstil vorliegen, kann dies beim Partner zu einem Rückzug aus dem Kennenlernprozess führen.
Ein ängstlich-abhängiger Bindungsstil kann also die Partnersuche blockieren, indem diese aufgrund von Ängsten vor sich selbst nicht konsequent betrieben wird oder weil sich ein infrage kommender Beziehungspartner bei Wahrnehmung der ängstlich-abhängigen Züge und Kontrolltendenzen aus einer beginnenden Beziehung früh zurückzieht.
Konsequenzen für das Matching
Grundsätzlich gibt es keine überzeugenden Belege dafür, dass Beziehungen glücklicher werden, wenn beide Seiten zu stark ängstlich-abhängigen Tendenzen, Kontrollverhalten und Eifersucht neigen. Vor diesem Hintergrund ist es aus psychologischer Sichtweise nicht sinnvoll, gezielt Menschen mit übersteigerter ängstlich-abhängiger Komponente mit solchen Menschen zusammenzubringen, die das gleiche Problem haben.
Trotzdem gibt es eine Gemeinsamkeit, die Menschen mit ängstlich-abhängiger Bindung teilen: ein großes Nähebedürfnis.
Ein großes Nähebedürfnis können aber ebenso Menschen mit sicherer, nicht ängstlicher Bindung haben. Umgekehrt haben Menschen mit Bindungsvermeidung ein dezidiert geringes Nähebedürfnis und wären sicherlich von einem ängstlich-abhängigen Beziehungspartner sofort überfordert.
Bei Gleichklang berücksichtigen wie den Wunsch nach Nähe und Gemeinsamkeit versus Eigenständigkeit und Separiertheit für die Vermittlung, nicht aber das Ausmaß an Verlassensangst, Eifersucht und Kontrollverhalten.
Ähnliche Nähebedürfnisse lassen die Aussichten wachsen, dass eine tragfähige Beziehung entstehen kann. Kein Matching kann jedoch die Auswirkungen des ängstlich-abhängigen Bindungsstils außer Kraft setzen.
Um hier zu einer grundlegenden Verbesserung zu gelangen, ist vielmehr Veränderungsarbeit notwendig, um die ängstlich-abhängige Komponenten zu mindern oder zu überwinden und zu einem sicheren Bindungsstil zu finden, der Nähe zulässt und sucht, aber auf der Basis von Zuneigung und Vertrauen und nicht auf der Basis von Instabilität und dem angstbesetztem Bedürfnis nach permanenter Liebesbestätigung.
So lässt sich ein ängstlich-abhängiger Bindungsstil verändern
- Selbsterkenntnis ist der erste Schritt: Hierzu gehört auch, eine starke Tendenz zu Verlassensangst und Eifersucht nicht schönzureden, nicht als quasi normal oder gar gut zu betrachten, sondern sie als veränderungswürdiges Problem zu sehen. Verlassensangst und Eifersucht sind keine natürlichen Zeichen von Liebe, jedenfalls nicht von reifer Liebe, sondern sie sind Ausdruck eines Problems, welches in der eigenen Person liegt.
- seien Sie optimistisch, dass Änderung gelingt: Trauen Sie sich zu, ängstlich-abhängige Muster zu überwinden. Reden Sie sich nicht ein, dass sie eben unter Verlustängsten und Eifersucht leiden und dies ihr Typ sei, sondern gehen Sie die Veränderung an. Selbst nach jahrzehntelanger Verlassensangst und Eifersucht ist eine Änderung möglich.
- konfrontieren Sie sich mit der Angst: Bei allen Ängste ist die wirksamste Methode , um sie zu überwinden, der Angst ins Gesicht zu schauen. Aus Angst tun wir vieles, um uns der Quelle der Angst nicht zu stellen. Dadurch aber bleibt die Angst aufrechterhalten. Denken Sie Ihre schlimmsten ängstlich-abhängigen Befürchtungen (Fremdgehen, Verlassenwerden etc.) konsequent zu Ende, ohne um sie rumzugrübeln oder sich durch Neutralisierungsverhalten (z. B. sich überzeugen, dass die Angst unbegründet ist) zu beruhigen. Wenn Sie Ihre ängstlich-abhängigen Tendenzen kennen, können Sie bereits als Single sich bewusst gelegentliche Zeiten der Konfrontation nehmen, in denen Sie sich beispielsweise vorstellen, einen Partner zu haben, der oder die sie verlässt. Wichtig ist, sich diesem Gedanken und den damit einhergehenden Gefühlen ganz und gar zu stellen, sie nicht zu unterdrücken. Einfach durch diese Übung werden die Ängste abnehmen.
- offen miteinander sprechen ist zentral: Stellen Sie Ihre Gefühle und Ihr Erleben in einem vorwurfsfreien Kontext dar, machen Sie aber gleichzeitig deutlich, dass Sie daran arbeiten möchten, übermäßige Verlassensangst und Eifersucht abzubauen. So entsteht Verständnis und gemeinsam kann Veränderung umgesetzt werden.
- Kontrollverhalten unterlassen: Nehmen Sie sich fest vor, Kontrollverhalten zu unterlassen. Internetkontrollen, Telefonkontrollen etc. senken die Eifersucht nicht, sondern stärken das Muster. Je klarer Sie sich vornehmen, solches Kontrollverhalten zu unterlassen, desto besser wird es Ihnen gelingen. Legen Sie sich Selbstinstruktionen zurecht (“Stopp, ich kontrolliere nicht”), die sie in den Fällen anwenden, wo Kontrollimpulse auftreten. Allein die Unterlassung von Kontrollverhalten führt bereits über die Zeit zum Abnehmen der Eifersucht.
- Eigenständigkeit in der Beziehung einüben: Vereinbaren Sie Zeiten von temporärer Distanz, eigenen Aktivitäten, Kurztrips ohne den Partner. Üben Sie, Freiräume zu nehmen und zu geben. Selbstverständlich dürfen Sie einen Partner vermissen, Sie sollten und werden aber dazu in der Lage sein, auch einmal ohne ihn oder sie den Alltag zu meistern und positive Aktivitäten zu unternehmen. Wenn Sie den Alltag auf diese Art und Weise bewusst gemeinsam gestalten, werden die Gefühle folgen und Sie werden feststellen, dass Sie an emotionaler Sicherheit gewinnen, die Angst abnimmt und die Beziehungsqualität zunimmt.
Resümee
Ein ängstlich-abhängiger Bindungsstil muss kein Schicksal sein, sondern Sie haben es selbst in der Hand, ihn zu verändern.
Dabei gilt übrigens, dass es für alles auf das Maß ankommt. Ein gewisses Maß an Verlassensangst und auch Eifersucht sind nicht grundlegend schlecht oder bedenklich, sie sollten sich aber so in Grenzen halten, dass Klärungen jederzeit möglich sind, sie nicht permanent auftreten und die Beziehungs- und Lebensqualität nicht unter ihnen leiden.
Der Test “Bin ich ein ängstlich-abhängiger Bindungs-Typ?“ wird Ihnen zeigen, ob bei Ihnen alles im Lot ist oder Anlass zur Veränderung besteht.
Liegt Veränderungsbedarf vor, nehmen Sie bitte Ihre Mitgliedschaft bei Gleichklang nicht nur zum Anlass, um einen Menschen kennenzulernen, sondern ebenso, um mit der Veränderung ihres Bindungsmusters jetzt bereits zu beginnen.
In meinem nächsten Blog-Artikel am kommenden Sonntag werde ich das Thema Bindung fortsetzen und mich mit den Fragestellungen befassen: Was ist eine sichere Bindung und wie können wir sie erreichen?